Wenn ein berühmter Stuhl eine Zeichnung wäre, könnten seine Umrisse auf alles Mögliche projiziert werden. Und natürlich wäre es dann kein Stuhl mehr. Zirkuliert eine bekannte Form in verschiedenen Versionen, wird sie auch in unterschiedlichen Kontexten wahrgenommen. Während einige Formen auf Websites, Social Media Accounts oder in Magazinen ein relativ generisches Reservoir an Bildern etablieren, bleiben andere auf bestimmte Weise spezifisch. So heben sich die Umrisse eines berühmten Stuhls vielleicht weniger durch seine Originalität besonders hervor, sondern vielmehr durch den kulturellen Hintergrund des Designs, mit dem er verknüpft ist. Selbst wenn man nicht im Detail mit den Ikonen der Designgeschichte vertraut ist, wäre man sicher längst auf deren Formenkanon gestossen – etwa auf Buchungsplattformen für Ferienunterkünfte oder dem Foto-Stream einer Person, der man online folgt. Design erweist sich durch seine Omnipräsenz in den räumlichen Vorstellungen unseres Lebens als weit verbreitetes, aber zugleich spezifisches Phänomen.
‚Emergente Bilder’, wie David Joselit das zirkulierende visuelle Material der Gegenwart in After Art bezeichnet hat, entstehen oft in digitalen Netzwerken. Sie bilden eine mehr oder weniger generische Masse, die nur noch in seltenen Fällen auf eine Produktion jenseits der Datenströme verweist. Könnte dies bei Bildern des Designs anders sein – vor allem, wenn man Bilder nicht nur im Sinne von Abbildungen, sondern auch als Vorstellungen versteht? So wird die Rahmenkonstruktion für eine bestimmte Designkategorie – nämlich öffentliche Plakate – in Stéphane Barbier Bouvets FYI (Mondial), 2015, auf seine funktionale Basis reduziert. Hier könnte jedes Werbeplakat angebracht werden – gleichzeitig begegnet man jedoch auch der spezifischen Typologie öffentlicher Ankündigungen. Die Plexiglasplatten von Athene Galiciadis erinnern kaum noch an jenes Interieur-Objekt, das ihr Titel erwähnt: Hocker (Dreiecke mit Blick nach oben und unten), 2018. Auch wenn man sich darauf setzen könnte, fungiert das transparente Gehäuse eher als Display für ein geometrisch dekoriertes Gefäss im Inneren – ein Display, das die Wahrnehmung des Betrachters durch neon-farbene Kanten verändert. Benjamin Hirtes Backbone, 2017, bietet überhaupt keine feste Sitzgelegenheit. Das Kunstlederobjekt wirkt nicht nur zu weich, um etwas zu stützen, sondern auch auf der Bedeutungsebene irgendwie aus dem Gleichgewicht geraten: eine Mischung aus Buchstabe, Körperteil und Einrichtung. In Warenausstellungen von Kleinstbetrieben oder improvisierten Messen begegnet man oft einfachen Displays, die den menschlichen Körper nachahmen. Daniel Jacoby geht weit über solch humanoide Andeutungen hinaus. In seinen Arbeiten scheint es, als hätten abwesende Figuren bestimmte Haltungen eingenommen, um die Eigenschaften von Waren vorzuführen – allerdings ist nur noch die Signatur ihrer Bewegungen sichtbar.
Moderne Möbelikonen – wie etwa Arne Jacobsens Egg und 3103 Chairs, deren Umrisse in Henning Strassburgers Stühle 1, 2 & 3 zu erkennen sind – zählen immer noch zu den prototypischen Bildern der Designkultur. Das Programm der Moderne, Ästhetik, Technologie und Industrie in organischen Formen zu vereinen, erscheint damit noch einmal – wenn auch nur als vage Erinnerung, teilweise getrübt durch den Farbauftrag der Malerei. Heute finden wir in postindustriellen Stadtvierteln selten einen Kohlebunker oder einen Kühlturm. Aus Ton gegossen, wirken die Vasen von Studio Mieke Meijer (2017) wie Monumente aus den Glanzzeiten der industriellen Revolution – Monumente, die wir heute vor allem von Bernd und Hilla Bechers Fotografien kennen oder von Museen, die einmal als industrielle Produktionsstätten dienten. Die Bimu-Lampen – 2016 entworfen von Dimitri Bähler – verkörpern durch ihre mechanisch wirkende Erscheinung ebenfalls eine Art Anachronismus. In der Betonung des organischen Materials und einer handwerklichen Herstellungsweise könnte man auch eine Kritik an Massenproduktion lesen – eine Kritik, die bereits die Anfänge der Designprofession im 19. Jahrhundert geprägt hat. Mit der Präsentation eines Spanplattenregals, das zugleich als Lager für einige aufwändig handgefertigte, aber merkwürdig deformierte Krüge dient, erkunden Aubry/Broquard ein prekäres Gleichgewicht zwischen verschiedenen Formen der Herstellung, Arbeit und Autorenschaft. Die omnipräsente Verbreitung des Designs ist wohl eher eine widersprüchliche Angelegenheit. So könnten wir ziemlich viel Zeit damit verbringen, industriell produzierte Dekorationsartikel in der Freizeit zu arrangieren – wie die Glassteine von Kaspar Müllers Mandala, 2016/2019, deren Layout sich auf Bildmuster eines Internetdienstes für Entspannungssuchende bezieht.
Mit Beiträgen von: Dimitri Bähler, Stéphane Barbier Bouvet, Dimitri Broquard & Bastien Aubry, Athene Galiciadis, Benjamin Hirte, Daniel Jacoby, Kaspar Müller, Henning Strassburger, Studio Mieke Meijer
Ausstellungsort: Galerie BolteLang, Limmatstrasse 215, CH-8004 Zürich