Erschienen in: form Design Magazin, Nr. 280, 2018.
Design sei in erster Linie eine positive Setzung, vernahm ich kürzlich an einer Designhochschule. Im entsprechenden Beitrag einer Konferenz ging es um grundlegende Annahmen über die Ästhetik der gestaltenden Disziplin. Gerade in ihrer Selbstverständlichkeit ließ mich die gut gelaunte Feststellung dermaßen erschrecken, dass ich mir vornahm, meine oppositionelle Reaktion etwas genauer zu erkunden.
Natürlich könnte es sein, dass im ersten Moment meine professionelle Deformation als Kunstkritiker eine Rolle gespielt haben mag, die meine Wahrnehmung in den vergangenen Jahren vor allem auf das Widersprüchliche, Unverständliche oder Abwesende gelenkt hat. Bin ich dabei etwa über meine eigene Perversion erschrocken, die – statt nach dem Positiven zu trachten – sich an einen ästhetischen Genuss der Negativität gewöhnt hat? Eine Haltung, die jeder Fokussierung auf das Positive in ästhetischen Fragen mit Argwohn begegnet? Abgesehen von diesen möglichen Einwänden, möchte ich im folgenden Text eher auf die – wie ich meine – interessanteren Fragen zu sprechen kommen, die in Designdebatten auf eine Vermeidung oder gerade auf eine Betonung von Negativität zielen. Allerdings werde ich dabei auf Umwege in den Grenzbereich zur Kunst nicht verzichten – Umwege in ein polemisch umkämpftes Gebiet, in dem die gesellschaftliche Rolle des Ästhetischen verhandelt wird.
Warum sollte man einer programmatischen Ansage widersprechen, die Design als treibende Kraft positiver Veränderungen definiert? Weil sie erstens wesentliche Effekte der Formgebung ausblendet und zweitens einen Diskurs über positive oder negative Auswirkungen durch Design bereits im Voraus entscheidet. Aus dem Blick gerät, dass Designformen nicht nur im positiven Sinne Gebrauch ermöglichen, sondern gleichzeitig auch im negativen Sinne bestimmte Gebrauchsweisen ausschließen.[1] Und dies betrifft nicht nur die individuelle Sphäre, sondern hat im Maßstab industrieller Verbreitung auch gesellschaftliche Folgen. Der Ruf des Normativen, das einen gesellschaftlichen Mainstream prägt und soziales Handeln mitbestimmt, eilt dem Design als Disziplin voraus. Allerdings dürfte spätestens seit der postmodernen Funktionalismus-Kritik (siehe form 270, S. 83) klar geworden sein, dass sich dieses Problem keineswegs nur auf die Frage nach dem richtigen und damit guten Gebrauch bezieht. Vielmehr wird Design, bevor es möglicherweise eine Rolle in alltäglichen Handlungen einnimmt, zunächst durch seine ästhetische Erscheinung wahrgenommen. So geht etwa dem Kauf und schließlich der Nutzung eines Mobiltelefons eine Vielzahl ästhetischer Auswahlprozesse voran – ob nun durch Vergleiche am Bildschirm, durch den Diskurs in meinem sozialen Umfeld oder einer Begegnung im Laden meines Netzanbieters. Natürlich gehört dazu auch eine bestimmte Vorstellung, wie ich das Gerät später einsetzen werde. Jene ästhetische Dimension, die an bestimmte Erfahrungen mit einer Kategorie von Gegenständen, Umgebungen oder Oberflächen geknüpft ist, unterscheidet sich jedoch in ihrer mehrdeutigen Potenzialität von einer tatsächlichen Nutzung. Darüber hinaus bestimmt die Vorstellung eines Gebrauchs lediglich einen Teil der Wahrnehmung. Angesichts der untergeordneten Rolle dieses Aspekts in Präsentation und Kommunikation vieler Produkte, könnte man sogar sagen, dass andere Kontexte viel wichtiger sind: etwa die Verknüpfung einer Form mit einem individuellen Lebensentwurf, die ästhetische Meinung eines Freundeskreises oder auch die Verbindung zu gesellschaftlich diskutierten Themen. Im kulturellen Sinne könnte man dies auch als einen zweiten Produktionsschritt des Designs auffassen, der seit der Industrialisierung einen besonders engen Konnex zwischen ästhetischen und sozialen Faktoren etabliert hat.[2] Es ist gerade diese Nähe, die im historischen Rückblick gleichermaßen Anlass für große Hoffnungen wie für Argwohn gewesen ist.
Die schier grenzenlosen Erwartungen moderner Gestaltung, als Motor positiver gesellschaftlicher Veränderungen zu wirken, wurden bereits Mitte des 20. Jahrhunderts durch die desaströsen Folgen totalitärer Regime sowie durch das Fortdauern einer kapitalistischen Wertschöpfungslogik diskreditiert. Statt durch die möglichst reibungslose Integration ästhetischer und sozialer Faktoren ein besseres Leben für Viele zu erreichen, hatte gerade die Überblendung von Ästhetik und Sozialität zu politischen oder ökologischen Katastrophen beigetragen. Im Laufe der 1960er-Jahre versuchte man im Design entweder, das Ästhetische zugunsten einer technisch-sozial orientierten Planungstheorie zu verbannen, oder es dagegen – wie etwa im italienischen Radical Design – zum primären Zweck der Entwurfstätigkeit zu bestimmen. Das Ästhetische und das Soziale zu eng miteinander zu verknüpfen, schien angesichts der jüngsten Vergangenheit wohl zu gefährlich – ein Eindruck, der sich mit Blick auf die ästhetische Theorie jener Zeit noch verstärkt. So liegt der schlechte Ruf dieser Konstellation maßgeblich in jenen Stimmen begründet, die bereits in den 1930er- und 1940er-Jahren eindringlich vor einer Indienstnahme des Ästhetischen durch Politik und Ökonomie gewarnt haben. Während Walter Benjamin dabei faschistische und stalinistische Diktaturen im Blick hat, fokussieren Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in ihrer kulturellen Analyse auf den organisierten kapitalistischen Betrug an den Massen – unter anderem durch Design.[3] Trotz der unheilvollen Allianz zwischen Gestaltung und totalitären Regimes sieht Benjamin darin auch Chancen für eine Erneuerung der Künste. Dagegen fällt die Prognose bei Adorno und Horkheimer schon deutlich pessimistischer aus: Der sogenannten Kulturindustrie, zu der auch Design zählt, fehle es nämlich grundsätzlich an Negativität.[4] Stattdessen soll jegliche kulturelle Differenz im Dienste der guten Laune getilgt werden. Die omnipräsente Verfügbarkeit vieler Angebote suggeriert darüber hinaus eine Nähe zwischen Ästhetik und Leben, die gesellschaftliche Konflikte durch Ästhetisierung scheinbar neutralisiert. In den entsprechenden Diskursen der nachfolgenden Jahrzehnte erscheint Design schließlich ebenso suspekt wie die von ihm zunehmend beeinflussten künstlerischen Arbeiten – etwa die der Pop-Art[5]. Theoretische Reflexionen über Ästhetik entfernen sich jedoch zugleich immer weiter von jenen Phänomenen, auf die sie sich beziehen. Wenn Kunst als letzte Bastion des Wahrhaftigen verteidigt und Design auf den Platz des praktisch Brauchbaren verwiesen wird,[6] hat das mit einer postmodernen Wirklichkeit nicht mehr viel zu tun. Im Gegenteil: Sowohl Kunst als auch Design der Postmoderne setzen mehr denn je auf den ästhetischen Schein von Gegenständen, Oberflächen oder Umgebungen.
Dies führt jedoch keineswegs nur zu harmonisierenden Effekten, die die Komplexität von Widersprüchen oder Differenzen oberflächlich aufheben würden. Vielmehr rühren gerade jene Entwürfe, die wie Ettore Sottsass’ skulpturale Volumen für Wohnräume kaum noch als Gebrauchsgegenstände zu identifizieren sind, auch an eine Negativität ästhetischer Präsenz. So entziehen sich sowohl Umrisse wie auch Oberflächen der später als Superboxes bekannt gewordenen Serie jeder eindeutigen funktionalen Bestimmung.[7] Es wäre sogar zweifelhaft, ob man es dabei überhaupt mit Mobiliar zu hat, schrieb der Kritiker Tommaso Trini[8]. Auch die auffällig gemusterten Oberflächen lassen sich eher durch eine ästhetische Unbestimmtheit charakterisieren, als dass sie eindeutige Zeichen setzen würden. Design, das Zweifel an seiner eigenen zeichenhaften wie funktionalen Zuordnung nährt und gleichzeitig die Kritik an seiner Oberflächlichkeit aufnimmt, bietet auch einen Anlass für begriffliche Weiterentwicklungen. So plädiert etwa Wolfgang Welsch für ein Design, das nicht nur ironisch sein darf, sondern sich sogar „in Zonen des Unfasslichen vorwagen“ soll und mit Adornos Worten ähnlich wie die Kunst Dinge hervorbringen könnte, von denen „wir nicht wissen, was sie sind“[9]. Als eine der wenigen Stimmen im deutschsprachigen Ästhetisierungsdiskurs warnt Welsch keineswegs vor der Gefahr eines ästhetischen Übergriffs, sondern sieht gerade in den Überschreitungen des Designs – hin zum Widersprüchlichen und Paradoxen – dessen erweiterte Bestimmung. Jene Negativität, die Adorno noch als Unterscheidungsmerkmal zwischen Kulturindustrie und Kunst diente, wird von Welsch nun zu Beginn der 1990er-Jahre als konstitutiver Teil eines zukünftigen Designbegriffs vorgeschlagen.
Die Sorge, dass Design damit zur Kunst mutiere, ist nicht nur in postmodernen Debatten zu vernehmen, sondern auch seit der Jahrtausendwende immer wieder zu hören – etwa, wenn es um Critical Design geht. Was einst aus Seminaren für experimentelle Designpraxis, unter anderen um William Gaver sowie Anthony Dunne und Fiona Raby, am Royal College of Art in London entstand, hat sich heute zu einem viel beachteten Diskurs entwickelt, der sich dezidiert gegen ein positivistisches Designverständnis wendet. Stattdessen sollen auch die negativen Seiten der Disziplin – gewissermaßen eine „Pathologie der materiellen Kultur, die Abweichungen, Überschreitungen und Obsessionen einschließt“[10] – in Erscheinung treten. Das Plädoyer für Negativität ist mit der Aufforderung verbunden, ästhetische Erfahrungen mit Design in ihrer Komplexität und Mehrdeutigkeit zu beachten – Erfahrungen, die sich weder auf funktionale Transparenz noch auf die Erzeugung täuschender Illusionen reduzieren lassen.[11] So materialisieren etwa Dunne und Rabys Atompilze aus Stoff (Huggable Atomic Mushrooms, 2004–2005) einerseits Ängste vor zerstörerischen Technologien, sie bieten ihre weiche Materialität aber zugleich auch für tröstende Umarmungen an. An Vorbilder des Radical Designs und der Konzeptkunst anknüpfend, legt Critical Design auch einen späten Widerspruch gegenüber den Vorwürfen des Ästhetisierungsdiskurses ein, Design würde gesellschaftliche Ambivalenzen nur ästhetisch neutralisieren.[12] Gleichzeitig besteht man jedoch auch auf einer klaren Abgrenzung zur Kunst: Trotz aller Ambivalenzen beruht Critical Design auf einer Ästhetik des Gebrauchs[13] und bezieht sich auf die Logik industrieller Produktion[14].
Dagegen scheint es, als hätte man sich während des vergangenen Jahrzehnts im Diskurs über Social Design wieder völlig davon verabschiedet, Negativität in ein Designverständnis zu integrieren. Stattdessen dominiert eine auf soziale Institutionen und gesellschaftliche Akteure erweiterte Auffassung der Disziplin, indem alle Beteiligten – ob nun Designexperten oder nicht – eine „produktive Aktivität entfalten, die positive Handlungen ermöglicht“[15]. Erklärtes Ziel ist es, auf dem Weg zu „sinnvoller Veränderung“ alle gestalterischen Hindernisse und Dysfunktionalitäten zu beseitigen und insofern möglichst auszuschließen.[16] Zugunsten einer möglichst eindeutigen Formulierung des gesellschaftlichen Nutzens wird hier Negatives ausgeblendet; Design soll sich ausschließlich als positive Kraft gegen negative Effekte kapitalistischen Profitdenkens positionieren. Allerdings ist gegenüber den normativen Nebenwirkungen dieser moralisierenden Ausrichtung auch Kritik zu vernehmen (siehe form 278, S. 94). Einige Stimmen aus dem Umfeld des Social Designs richten sich ebenfalls gegen eine prinzipielle Ausblendung von Negativität im Designprozess. So tritt etwa Jesko Fezer für ein Design ein, das gerade durch die Zuspitzung von Konflikten zu gesellschaftlichen Prozessen politischer Meinungsbildung beitragen soll.[17] Im Unterschied zu Victor Margolin zielt Fezer gerade nicht auf eine positive Auflösung von sozialen Konflikten im Hinblick auf eine mögliche Nutzung; er verzichtet sogar gänzlich auf diesen Anspruch.
Eine ausschließliche Fokussierung auf die soziale Wirksamkeit des Designs vernachlässigt bis auf wenige Ausnahmen jedoch nicht nur mögliche negative Effekte, sondern blendet auch die Ambivalenz ästhetischer Erfahrungen aus. Ja, es scheint manchmal, als würde das Ästhetische in diesen Diskursen wieder mit Ästhetisierung gleichgesetzt.[18] Dafür gibt es, wie im Rückblick auf die polemischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts deutlich geworden ist, sicherlich gute Gründe. Man kann kaum umfassend über eine Ästhetik des Designs sprechen, ohne Ästhetisierung zu erwähnen – nicht zuletzt, weil Design bis heute als prägendes Symptom vielkritisierter Ästhetisierungsprozesse[19] wahrgenommen wird. Es ist – etwa im Sinne des Radical oder des Critical Designs – aber auch denkbar, jene Negativität als konstitutiv für eine Ästhetik des Designs zu verstehen. In der postmodernen Ästhetik wurde dieser Versuch vereinzelt schon unternommen, für die Gegenwart lassen sich jedoch – trotz vielfältiger Anregungen aus der Designpraxis – noch keine vergleichbaren Ansätze erkennen. Aus dieser Perspektive wäre eine Theorie des Designs zu entwickeln, die ambivalente ästhetische Erfahrungen nicht als zu beseitigende Hindernisse auf dem Weg zur reinen Positivität auszuräumen versucht, sondern als dialektische Bedingungen der eigenen Disziplin versteht.[20]
[1] Andreas Dorschel, Gestaltung – Zur Ästhetik des Brauchbaren, Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2003, S. 30.
[2] Tido von Oppeln, Waren zeigen. Zu einer zweifachen Produktion von Design, in Kathrin Busch, Burkhard Meltzer, Tido von Oppeln (Hrsg.), Ausstellen. Zur Kritik der Wirksamkeit in den Künsten, Zürich, Berlin: Diaphanes, 2016, S. 225–242.
[3] Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Kulturindustrie, Aufklärung als Massenbetrug, in Gunzelin Schmid Noerr (Hrsg.), Gesammelte Schriften, Band 5: „Dialektik der Aufklärung“ und Schriften 1940–1950, Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 2003, S. 144–196, S. 148.
[4] Ebd., S. 156.
[5] Wolfgang Fritz Haug, Kritik der Warenästhetik. Gefolgt von Warenästhetik im High-Tech-Kapitalismus, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 2009, S. 40, 135.
[6] Rüdiger Bubner, Ästhetische Erfahrung, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1989, S. 15.
[7] Die erwähnten Entwürfe sind 1966 für den Hersteller Poltronova entstanden.
[8] Tommaso Trini, Ettore Sottsass Jr: Katalogo Mobili 1966, in Domus, Ausgabe 449, 1967.
[9] Wolfgang Welsch, Perspektiven für das Design der Zukunft, in Wolfgang Welsch, Ästhetisches Denken, Stuttgart: Reclam, 2003, S. 201–218, S. 217.
[10] Anthony Dunne, Fiona Raby, Design Noir, Basel, London: Birkhäuser, 2001, S. 6.
[11] Anthony Dunne, Hertzian Tales. Electronic Products, Aesthetic Experience, and Critical Design, Cambridge, London: MIT Press, 2006, S. 3, 23.
[12] Ebd., S. 83.
[13] Ebd., S. 43–68.
[14] Anthony Dunne, Fiona Raby, Design Noir, Basel, London: Birkhäuser, 2001, S. 58.
[15] Victor Margolin, Social Design: From Utopia to the Good Society, in Design for the Good Society. Utrecht Manifest 2005–2015, Rotterdam: Nai010, 2015, S. 27–42, S. 29.
[16] Ebd.
[17] Institut für angewandte Urbanistik, Jesko Fezer, Twelve Working Theses for Space Design, in Axel Wieder, Binna Choi (Hrsg.), Generous Structures. Casco Issues XII, Utrecht, Berlin: Sternberg Press, 2011, S. 82–85.
[18] Annette Geiger, Social Design – Ein Paradox?, in Claudia Banz (Hrsg.), Social Design. Gestalten für die Transformation der Gesellschaft, Bielefeld: Transcript Verlag, 2016, S. 61–70, S. 68.
[19] Andreas Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung, Berlin: Suhrkamp Verlag, 2012, S. 181.
[20] Daniel Martin Feige hat zwar jüngst in einer philosophischen Annäherung an den zeitgenössischen Designbegriff dessen dialektische Grundlagen ebenso wie die Bedeutung der Ästhetik thematisiert (siehe form 277, S. 102), allerdings betrifft dies im ersten Fall vor allem den geschichtlichen Prozess der disziplinären Etablierung, im zweiten Fall spielt Negativität keine Rolle. Vielmehr wird die Ästhetik des Designs auch hier primär positiv bestimmt, nämlich als „Form der praktischen Welterschließung“. Siehe Daniel Martin Feige, Design. Eine philosophische Analyse, Berlin: Suhrkamp Verlag, 2018, S. 9, 55.