Erschienen in: frieze d/e, Winter 2011/2012, London/Berlin.
Beim Betreten des Ausstellungsraums ist die Eröffnungsoper von Patrick Graf schon in vollem Gange. Das auf der Karte westlich gelegene Meer (2012), so der Titel von Oper und Ausstellung, wird hier von insgesamt sechs Darstellern zu einem Soundtrack vom Band besungen. Die Rahmenhandlung ist schnell skizziert: Nach der finalen Vermüllung der Landmasse hat sich die Menschheit auf den Meeresboden zurückgezogen. Die Gelbwesen (Menschen), wie sie von den dort beheimateten Atlantern (Meerestieren) genannt werden, suchen, unterstützt durch die notwendige Atem- und Verteidigungstechnik, nach Nahrung und neuem Lebensraum. Oper hin oder her, erzählt wird diese Geschichte in einer Sprache, die mal an Prospekte mit Sonderangeboten, mal an protestantische Kirchenlieder aus vergangenen Jahrhunderten erinnert.
Die Fronten sind klar: hier die liebenswürdigen Atlanter, dort die zerstörerischen Gelbwesen. Damit keine Missverständnisse bei der Rollenverteilung entstehen, sind die netten Ureinwohner an ihrem fröhlichen grünen Kostüm mit tierähnlicher Fratze zu erkennen. Die fremden Ressourcen-Vernichter dagegen treten in gelben Schutzanzügen auf, die auch zur Schädlingsbekämpfung oder für Raumfahrt-Expeditionen dienen könnten. Nachdem die Aufführung, die mitten unter den Zuschauern der Eröffnung statt- findet, zu Ende ist, bleiben die Kulissen als Installation und temporäres Atelier des Künstlers stehen. Halbtransparente Müll- säcke, die den gesamten Raum einhüllen, sorgen mit blassem Blau für improvisierte Unterwasser-Atmosphäre. Links tauchen Algen- und Korallenformationen vor Unterwassergebirgen aus Verpackungs- und Isoliermaterial auf. Rechts türmen sich die Reste eines Schifßwracks aus Pappe und Draht, ,,Das schönste aller Meere“ wurde uns während der Auführung versprochen: ein Paradies unter Wasser, auf jeden Fall westlich zu finden – eingepackt in einen riesigen MülIsack.
Die Frage, ob wir nur eine Welt zur Verfügung haben oder womöglich doch mehrere, klingt ökologisch betrachtet entweder naiv oder zynisch. In ästhetischer Hinsicht jedoch zeigen sich in Grafs Performances, Installationen, Zeichnungen und Malerei immer mehrere Welten parallel: Tierfrguren, die aus Comics, Trickfrlmen oder Kinderbüchern entnommen zu sein scheinen, treffen hier auf eine Menschentruppe von einem Science-Fiction- oder Action-Filmset. Zudem hat Grafs Oper ihre eigene Zeitrechnung: das Ypsilon’sche Zeitalter. So bezeichnet Graf sein Paralleluniversum aus collagierten Figuren und Weltmodellen, das nur aus dem erfinderischen Geist eines gewissen Dr. Y heraus existiert. Die Superhelden der großen Hoffnungsgeschichten jener Weltgegend, die sich selbst einmal als ,,Westen“ bezeichnet hat, sind im Rückspiegel dieser beschädigten oder sogar von Vernichtung bedrohten Welten noch einmal zu besichtigen: der Nichts-ist- unmöglich-Ingenieur, der Du-musst-dein- Leben-ändern-Aktivist oder der Priester-Künstler mit direktem Draht zu höheren Wesen. Graf gelingt es mit großer erzähleri- scher Virtuosität und einer provisorischen Ernsthaftigkeit, altbekannte Rollen noch einmal mit Leben zu füllen.
Kunstraum Baden, Switzerland, 8.9.-25.11.2012.