Veröffentlicht in: frieze d/e, Winter 2012/2013, London/Berlin.
In Fotogrammen, Filmen, Keramikobjekten und Ausstellungsarchitekturen setzt sich Fabian Marti (geboren 1979 in Fribourg/Schweiz) mit etwas auseinander, das man einmal als künstlerische Handschrift bezeichnet hat. Zeichen von Originalität, wie sie aus verschiedenen Kunstströmungen der Moderne bekannt sind, werden dabei in hybride gegenwärtige Formen transformiert.
Für den Auftritt des Künstlersubjekts nutzt Marti allerdings völlig gegensätzliche Konzepte – rätselhafte Codes tauchen gleichzeitig mit eindeutigen Kontaktangeboten auf. Würde nicht ein unlesbarer Teil als Überschrift dienen, könnte man VRNTYNHZLN CLGKNMNLYN WKOHZ Marti Keramik 0041765653946 auch für das Plakat einer Baufirma halten: Nur Name und Handwerk werden erwähnt, ergänzt durch eine Telefonnummer (2011). Zwischen kryptischem und lesbarem Textteil erscheint erwartungsgemäss die Abbildung eines Keramikobjekts. Dessen Oberfläche ist zwar noch ungebrannt, aber schon geformt: Ein rundliches, geschlossenes Gefäss, das durch seine horizontalen, ineinander verschobenen Ringe trotzdem durchlässig wirkt. Nur dort, wo Behältnisse normalerweise offen sind, wird das Objekt durch eine geschlossene Fläche nach oben hin versiegelt. Ein unregelmässiges Liniengeflecht überzeichnet die Umrisse der schwarz-weissen Abbildung mit farbigen Verläufen. Neongelb über violett bis grün leuchten die Linien, die sich seit 2011 auch auf vielen anderen Objekten, Fotogrammen oder architektonischen Eingriffen des Künstlers fortsetzen. Bei Youth! Youth! (2011) überlagern sich ebenfalls verschiedene Schichten aus ungefährer Handzeichnung und genauer technischer Abbildung..Fabian Marti, der in Zürich Fotografie und in Los Angeles Kunst studiert hat, kehrt hier zu einer sehr einfachen Art der fotografischen Bildproduktion zurück, wie sie auch bei Bauhaus-Moderne und Surrealisten beliebt war: dem Fotogramm. Abdrücke von Händen tauchen hier und da zwischen einem regelmässigen Lochmuster auf, durchzeichnet von ungefähr geraden Linien. Über einige Zellen des schwarz-weissen Abzugs wabert eine halbtransparente rot-grün-blaue Farbwolke, die offenbar nachträglich hinzugefügt wurde. Das Resultat entsteht ohne Aufnahme- oder Speichermedium und bleibt durch viel Handarbeit ein Unikat.
Trotz abstrakt malerischem Gestus auf der Fotogramm-Oberfläche handelt es sich hier jedoch kaum um die besonders ausdrucksstarke Äußerung eines überzeugten Neo-Expressionisten. Marti kombiniert manuelle Methoden der künstlerischen Produkton, die als Handschrift gelesen werden könnten, mit technischen Reproduktionsverfahren.
Sogar Handabdrücke erscheinen mehrmals in ein und derselben Version auf verschiedenen Arbeiten: Marti drückt gleichsam den Stempel des Analphabeten -Finger- und Handabdrücke – auf Fotogramme, Keramiken und in lebensgrossem Massstab auch als selbstklebende Folien auf Wände (End Egoic Mind, 2010). Die „künstlerische Handschrift“ erscheint hier höchstens noch als derb-infantile Ironie.
Zur prähistorischen Kultur ohne Werkzeuge und Stilkonventionen kehrt die weibliche Off-Stimme in Martis jüngstem Film zurück: Because I Travel A Lot (2011). Aus dem suggestiv gesprochenen Text des Ethnopharmakologen Terence McKenna erfahren wir, unsere kulturelle Prägung sei nur ein Betriebssystem, das ganz einfach durch den Einsatz psychoaktiver Substanzen neu gestartet werden könne. Hier liegt laut McKenna der Schlüssel zu einer kulturellen Aktivität, die statt von „Capitalism 5.0“ nun von der uralten „Tierseele“ des Menschen gesteuert wird. Gleichzeitig verfolgen wir die Herausformung eines Keramikobjekts, das bis auf die Oberflächenbehandlung dem von Marti Keramik angekündigten ähnelt : Aus einem Klumpen Ton entsteht schließlich unter den Händen eines spezialisierten Handwerkers ein runder, farbig glasierter Gegenstand aus über einander gelegten Keramikbändern. Neben den Drehbewegungen der Töpferscheibe sorgt ein Mix aus dumpfen Trommeln und hellen Synthi-Klängen für hypnotische Suggestion. Die Kameraperspektive könnte auch einem Ethnologenteam entsprechen, das die Errungenschaften einer soeben entdeckten, exotischen Kultur begeistert vorstellt. Nachdem das Publikum alle Schritte eines Herstellungsprozesses verfolgen konnte, wird nun die farbig glasierte Keramik vor schwarzem Hintergrund in musealer Manier vorgezeigt.
Marti übernimmt hier nicht einfach die moderne Vorstellung von einer Rückkehr zur primitiven (und damit als echt und ursprünglich geltenden) Kultur, sondern stellt dieser Idee eine Auseinandersetzung mit den medialen Formaten des Ausstellens zur Seite. Für viele Ausstellungssituationen sind auch eigene Displayentwürfe des Künstlers entstanden. Seit einigen Jahren zeigt Marti seine Filme, Keramikobjekte oder Fotogramme in einem eigenen Einrichtungsprogramm aus MDF-Wänden-, Rahmen und Möbeln, das zwar präzise gefertigt ist, aber oft auch betont klobig daherkommt. Ein direkter handwerklicher Kontakt zum Material ist hier ebenso wichtig wie die spielerische Distanz zum Hergestellten und der produzierenden Künstleridentität. Trotzdem begibt sich Marti immer wieder auf die Suche nach dem auslösenden Antrieb, überhaupt etwas herzustellen: Kunst als Kooperation mit einem unergründlichen Ur-Moment, gleichzeitig durchzogen von konzeptuellen Stichworten.