Erschienen in: spike 21, Wien 2009.
Fast hat man sich schon daran gewöhnt, in vielen Arbeiten aktueller Kunst den Spuren historischer Ereignisse und ästhetischer Sprachen der Vergangenheit zu folgen. Obwohl in der visuellen Kultur die Zukunft derzeit kaum eine große Rolle zu spielen scheint, erleben die futuristischen Visionen der Vergangenheit – seien es die Abstraktionsbewegungen des Modernismus oder Architekturkollektive der 60er und 70er Jahre – gerade eine Hochkonjunktur. Einige Gruppenausstellungen wie „Archaeologies of the Future“ (Sala Rekalde, Bilbao, 2007) oder „Past-Forward“ (Zabludowicz Collection, London, 2008) haben in den letzten Jahren versucht, dieses ausgeprägte historische Interesse der Gegenwartskunst als eigentlich zukunftsorientiertes Arbeiten zu präsentieren. Einmal sind es nicht die großen historischen Erzählungen, über die sich die Kuratoren Nav Haq und das Kollektiv Latitudes dem dritten Teil der Ausstellungsreihe „Futurology“ im Arnolfini dem Thema nähern. Sie lenken die Aufmerksamkeit auf die individuellen Hoffnungen, die mit der Imagination von Zukunft verbunden sind, sei sie „möglich, wahrscheinlich oder wünschenswert“.
Nicht von ungefähr bildet also die raumgreifende Installation „Holiday for Tomorrow“ (2007) der koreanischen Künstlerin Haegue Yang (*1971) das Zentrum der Ausstellung. Im Mittelpunkt der Installation steht ein Videoessay, dessen Kamerafahrt durch geschlossene Ladenlokale in Seoul während des koreanischen Erntedankfestes (Chuseok) von erzählten Plänen und Wünschen für die Ferienzeit begleitet wird. „This holiday, one believes one will find the perfect moment to confess one’s love. This time, one believes there will be an opportunity to say what was unsaid before.“ nimmt sich die Stimme des Videos vor. Spärliches Tageslicht fällt durch eine Reihe von Holzparavents mit geometrischen Ornamenten, und ein tragbarer Ventilator sorgt fast gerâuschlos für etwas Luftbewegung. Während die fantastische, von projizierten Standbildern begleitete Erzählung „Nobody Was Tomorrow< (2007) der Mexikanerin Mariana Castillo Deball (*1975) eine eigensinnige Papieralterungsmaschine aus der konservatorischen Abteilung der serbischen Nationalbibliothek mit römischen Ruinen und einem Feigenbaum zusammenspannt, zeichnet Jordan Wolfsons (*1980) Film die Zukunftshoffnungen und -ängste anhand des ersten für Privathaushalte erschwinglichen Computers mit grafischer Benutzeroberfläche und Maus – dem 1984 präsentierten Macintosh 128K – in Kunst, Politik und Ökonomie nach.
Auch bei Wolfsons Film geht es nicht um eine dokumentarische Rekonstruktion der Vergangenheit, sondern um eine Montage vergangener Zukunftsvisionen: Langsam zoomt die Kamera auf das ikonische Computergehäuse, das wir einsam neben einem durch staatliche Baumaßnahmen in den 30er Jahren gebauten Highway sehen, während der Erzâhler seinen Monolog über den zukünftigen Thiumphzug des abstrakten Expressionismus aus dem Amerika der 50er Jahre vorträgt. Eine ambivalente Sicht des Zukünftigen leuchtet den Besuchern in Gestalt der Arbeit von Heman Chong (* 1977) aus der Empfangshalle entgegen. In einer Wandinstallation aus kleinen, roten Klebedreiecken, die alle Richtung Boden zeigen, überträgt er die visuelle Sprache ökonomischer Vorhersagen als bemerkenswerte Häufung negativer Vorzeichen in einen halböffentlichen Raum zwischen Straße und Kunstinsiitution. Die Ausstellungsprojekte des seit 2007 am Arnolfini kuratierenden Nav Haq (*1976) schaffen es immer wieder, auf visuell lustvolle Weise, kunstimmanente Probleme mit gesellschaftlichen Fragen der populären visuellen Kultur zu verschränken. Haq lässt sich viel Freiraum fur Experimente, und das Konzept der langfristig angelegten Ausstellungsserie erlaubt unterschiedliche Zugänge zu einem Thema, was sich auch wieder in der aktuellen Schau zeigt. Die Ausstellung eröffnet mit ihren unterschiedlichen Beiträgen letztlich zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze, die Zrtkunft zu imaginieren – einerseits als Geschichte der individuellen Erfahrungen und andererseits in der Prãsenz einfacher visueller Symbole. Es wird ein weites Feld der Auseinan-dersetzung ausgebreitet, das an manchen Stellen die Distanzen zwischen den Arbeiten vielleicht etwas zu groß werden lässt, um sie innerhalb eines Ausstellungsrundgangs zu bewältigen. Man stößt dort nicht zuletzt an sprachliche Grenzen, die beiden Ebenen der Ausstellung miteinander ins Gespräch zu bringen. Wer dann an eine Erweiterung des Wortschatzes denkt, dem sei ein Besuch von Will Holders Neologismus-Workshop im Rahmen der Ausstellung wärmstens empfohlen.
Sequelism, Part 3: Possible, Probable of Prefetable Futures, Arnolfini, Bristol, 18.7.-20.9.2009.