Erschienen in: spike 23, Wien 2010.
Man kann sich schwer eine publikumswirksamere Ankündigung vorstellen: Nach einem millionenschweren Erweiterungsumbau öffnet die Londoner Whitechapel Gallery im Frühjahr 2009 ihre Türen ausgerecht mit einem Picasso. Zumindest im Presseecho übertönt der Guernica-Wandteppich als zentrales Motiv in der einjährigen Ausstellung der polnischen Künstlerin Goshka Macuga (* 1967) die anderen Details der Präsentation. Tätsächlich lässt sich an dem 1937 von Picasso für den spanischen Pavillon der Pariser Weltausstellung hergestellten Monumentalgemälde die wechselhafte Beziehung zwischen politischer (Antikriegs-)propaganda und Kunst im 20. Jahrhundert verfolgen. Von Klassenkämpfen im angrenzenden
Londoner Viertel Whitechapel am Vorabend des 2. Weltkrieges über die kalten Konfrontationen zwischen Ost und West bis hin zur Gegenwart erschließt Macuga das Panorama dieser Bildgeschichten.
Picassos Motiv aus Architekturfragmenten, zerfetzten Tier- und Menschenleibern ist nach dem deutschen Angriff auf das baskische Städtchen Gernika (1937) zum weltbe- kannten Symbol kriegerischer Zerstörung geworden. Genau 70 Jahre vor der Neueröffnung der Whitechapel-Gallery im vergangenen Jahr wurde das Gemâlde 1939 durch die Initiative lokaler Kommunisten und begleitet von Anti-Nazi-Demonstrationen hier gezeigt. Während der Nachkriegszeit erwies sich die Sache vor allem in den USA und Großbritannien auch aufgrund Picassos explizit kommunistischem Engagements schon heikler, und Guernica blieb bis auf wenige Ausnahmen nur im New Yorker MoMA der Öffentlichkeit zugänglich. Eine erstaunliche Wendung erfährt die Rezeption des politisch brisanten Motivs Mitte der 50erJahre: Politiker und Kunstmäzen Nelson Rockefeller beauftragte Picasso mit der Anfertigung einer Wandteppich-Version von „Guernica“. Der Künstler war von dieser Idee offenbar so angetan, dass in den folgendenJahren eine ganze Serie von Teppich-Versionen nach bestehenden Werken Picassos für die Privaträume der Rockefellers entstand. Nach dem Tod des Auftraggebers gelangte der Wandteppich in die Räume des UN-Sicherheitsrats in New York, wo er bis heute zu sehen ist. Allerdings mit einer Unterbrechung: Colin Powell ließ den Teppich während der Presseerklärung zum Irak-Krieg 2003 „aus Rücksicht auf die Kameras“ mit einem blauen Vorhang abdecken – Goshka Macuga hat die Leihgabe aus dem politisch-militärischen Zentrum der Weltpolitik nun als Fluchpunkt ihrer Installation eingesetzt. Vor diesem Hintergrund werden interessierte Gruppen eingeladen, sich am runden Eichenholztisch für Gespräche und Diskussionen zu treffen. Tätsächlich haben über 70 Gruppen aus Schulen, Universitäten, Behörden, Lesezirkeln, politischen Vereinen oder Wirtschaftsunternehmen dieses kostenlose Angebot genutzt.
Und auf den konferenzerprobten Executive-Bürosstühlen von Ray und Charles Eames („Soft Pad Group 217“, 1969) wird manch schwierige Diskussion von der weichen Lederpolsterung abgefedert. Die umgebende Architektur betont nach der Neueröffnung die alten Werte des Gebäudes: Skulpturale Säulenelemente und das wieder entdeckte Ziegelgemäuer führen die visuelle Sprache repräsentativer Gewalten mit traditions-bewusster Geste weiter. Bis dahin funktioniert die Inszenierung von Kunst, Propag’anda und elegantem Konferenzdesign so gut, dass man die Fragen zur Repräsentation von (wie auch immer legitimierter) Gewalt auch an die architektonische Situation des Ortes und die dort präsentierte Kunst stellt. In Eingangsnähe zerstreuen die anderen Elemente der Ausstellung jedoch diese intensive räumliche Erfahmng auf anekdotische oder komische Weise. Wechselnde Screenings zur Irak-Invasion, zur Geschichte von Guernica und dem spanischen Bürgerkrieg werden dort präsentiert, auf der anderen Seite liegt ein Teppich aus Bagdad mit der Karte des Landes und gestickten Waffen. Die Bronzebüste des besorgten Colin Powell auf einem kubistisch anmutenden Sockel wirkt angesichts des bereits vorhandenen Materials einfach redundant. Das Vorbild in der Tischvitrine ist zweifellos ein starkes Bild, das sich für einige Zeit im Kopf festsetzen wird. Nur schade, dass die in Bronze gegossene Lüge dieses Potential zur hämischen Pointe verkürzt.
Goshka Macuga: The Nature of the Beast, The Bloomberg Commission, Whitechapel Gallery, London, 5.4.2009-4.4.2010