Erschienen in: Huber, Meltzer, Munder, von Oppeln (Hgg.), It`s not a Garden Table – Kunst und Design im erweiterten Feld, JRP-Ringier, Zürich 2011
Good Design vs. Minimal Art
Die künstlerische Auseinandersetzung mit der Ästhetik des industriellen Designs fordert schon seit den Anfängen dieser Disziplin im 19. Jahrhundert immer wieder hitzige Diskussionen über Abgrenzungen und Annäherungen heraus. Das industriell hergestellte und gestaltete Ding spielt in der Kunst des 20. Jahrhunderts nicht nur eine Nebenrolle, sondern hat immer wieder grundlegende Fragen zur gesellschaftlichen und ökonomischen Stellung von Kunst und ihren Re-Präsentationen provoziert. Im Namen der Kunstkritik, der institutionellen Kritik und einer Kritik der Avantgarde wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts viele ideologische Grabenkämpfe um das Territorium des Designs geführt – ging es doch hier um eine besonders enge Komplizenschaft zwischen Lebenswelt, industrieller Ökonomie und Gestaltung.
Um zu zeigen, was nicht Kunst ist, verwies man auf Design und umgekehrt. „Behind the expected, self-cancelling emblems of the furthest-out, almost every work of Minimal Art I have seen reveals in experience a more or less conventional sensibility. […] I find myself back in the realm of Good Design, where Pop, Op and Assemblage, and the rest of Novelty Art live“[1], so die Kritik Clement Greenbergs an der Minimal-Art der 1960er Jahre.
Die Antwort aus den Reihen der Künstler kam umgehend und sollte den Vorwurf von Greenberg, der sich auf die kanonbildende „Good-Design“-Ausstellungsreihe des Museum of Modern Art zwischen 1950 und 1955 bezog, noch übertreffen: Donald Judd lud ab 1968 in seinen Privaträumen regelmässig zu gemeinsamen Präsentationen seiner Skulpturen und Möbel ein. Ausserdem kritisierte er in einem lakonisch als „Beschwerde“ betitelten Artikel in der Zeitschrift „Studio International“[2] die Unfähigkeit Greenbergs, individuelle künstlerische Qualitäten jenseits medienwirksamer Gruppenbezeichnungen wie „Minimal Art“ überhaupt noch wahrzunehmen. Darüber hinaus begann Judd in den 1970er Jahren tatsächlich, Stühle, Tische und Regale herzustellen und zu verkaufen. Die Atmosphäre seines umgebauten Lofts kombinierte die distanzierenden Qualitäten eines modernen White Cube mit dem Persönlichen der selbst hergestellten Einrichtungsgegenstände. Den Vorwurf, „Good Design“ zu produzieren, wandelte der Künstler gleichsam in eine räumliche Grenzsituation zwischen seiner Kunst- und Designproduktion um und knüpfte auf diese Weise an die Konventionen der Warenpräsentation industriellen Designs, an dessen repräsentativen Ausstellungscharakter im bürgerlichen Haushalt und ebenso an den White-Cube-Standard moderner Kunst an, um den an allen Rändern „ausfransenden“ Werkbegriff der Kunst mit Hilfe des Designs räumlich weiter zu entwickeln. Dabei entstand eine Installation, die den Atmosphären von heutigen „Concept-Stores“ schon ziemlich nahe gekommen sein muss. Die möglichen Konflikte zwischen Einrichtung, Kunstobjekt und den Rollen von Gastgeber und Gästen – bzw. den Konventionen des Benutzens oder Betrachtens – löste Judd dadurch keineswegs auf, ebensowenig wie seine Position als Künstler. Im Gegenteil: Einerseits hielt Judd an einer Differenzierung zwischen den Design- und Kunstkontexten seiner Produktion fest, anderseits spitzte er die Probleme durch Ausstellungen in der Lebenswelt seines Lofts zu.
Jenes kunstkritische Urteil, das die Minimal Art in Gefilde des „Good Design“ verbannte, bewertete die Rolle des industriellen Designs für die Kunst in zweifacher Hinsicht:
- „Good Design“ wird von Greenberg offensichtlich als eigene kulturelle Disziplin anerkannt, die sich von der herkömmlichen anonymen Massenproduktion von Waren unterscheidet.
- „Good Design“ fungiert als kritisches Antibild gegenüber einer von Greenberg favorisierten Kunst.
Damit ist „Good Design“ zu einer Kategorie geworden, die angesichts einer Krise des Kunstbegriffs in den folgenden Jahrzehnten immer wieder als Beispiel für kritische Diagnosen, was eben nicht Kunst ist, bemüht wird. Auf den ersten Blick mag es sich hierbei vielleicht bloss um eine abschätzige Polemik gegen eine alles dominierende Warenkultur handeln, die sich in den 1960er Jahren zunehmend in künstlerischen Arbeiten der Minimal oder Pop Art wiederfand. Andererseits bezeichnet Greenberg mit „Good Design“ jedoch eine zumindest in den USA bereits damals anerkannte museale Disziplin. Trotz seiner negativen Rolle in der kunstkritischen Argumentation klingt dabei auch eine Wertschätzung mit, die Autorendesign als kulturelles Feld bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlangen konnte. Das gut gestaltete Konsumentenleben diente bereits in den 1950er Jahren als Vorbild für einen Lebensentwurf, in dem sich künstlerischer und industrieller Fortschritt zu einem „Good Design“ vereinigen lassen sollten.
Auflösungserscheinungen
So wenig dieses Lebensziel der Nachkriegsmoderne heute noch ernsthaft diskutiert wird, so sehr hat sich das Konzept des „Good Design“ als ästhetischer Mehrwert gegenüber dem blossen Gebrauchsgegenstand behauptet. In den USA etabliert sich in den 1950er Jahren, schon vor dem grossen Krisenmoment der traditionellen künstlerischen Werkbegriffe in den 1960ern, eine Disziplin des Designs, die als selbstkritische Instanz – zunächst allerdings als polemische Abwehrreaktion – wiederum im Kunstkontext aufgenommen wird. Durch Ausstellungen, Medienpräsenz und einen selbstreferenziellen Diskurs entwickelte sich das Autorendesign in den vergangenen Jahrzehnten von einem Antibild vielmehr zu einem Gegenüber mit gemeinsamen Berührungspunkten – ein Terrain, dass als Diskussionsgegenstand, Material oder Referenz viele künstlerische Arbeiten begleitet. Wenn heute jene abwehrende Haltung von Greenberg einem neugierigen und oft sogar optimistischen Blick in Richtung Design gewichen ist, so hat dies vor allem mit einem wesentlich erweiterten Designbegriff und einer fortwährenden Diskussion um Grenzziehungen zwischen den Disziplinen zu tun.
Ein Designbegriff, der sich seit Ende des 19. Jahrhunderts vor allem auf Dinge des Industriedesigns bezogen hat, meint heute nicht mehr primär eine bestimmte Kategorie von Gegenständen, sondern auch mediale Benutzeroberflächen, ästhetische Erfahrungen und räumliche Umgebungen. Während das Manifest eines Critical Design[3] gleichsam „eingebaute“ selbstkritische Momente im Design zu etablieren versucht, entsteht daneben ein Begriff, der Arbeiten in einer Sphäre zwischen Design und Kunst ansiedelt: DesignArt. Zunächst von den Künstlern Joe Scanlan und Neal Jackson geprägt,[4] wurde der Begriff später von dem britischen Kunstkritiker Alex Coles in der gleichnamigen Publikation 2005[5] genutzt, um Phänomene im Kunstkontext zu beschreiben, die sich explizit auf Design beziehen. Andererseits bezeichnen viele Designkritiker Kleinserien oder Einzelstücke, die für Ausstellungen in Designgalerien und -museen produziert werden, umgangssprachlich ebenfalls als DesignArt. Keine Frage: Besonders mit der Entwicklung der Installation zum dominierenden Ausstellungsformat der Gegenwart sind sich die beiden Kontexte von Kunst und Design sehr nahe gekommen. Sowohl im Design als auch in der Kunst ist die ästhetische Erfahrung eines Ausstellungsformats nicht nur möglich, sondern gängige Praxis. Doch auch wenn ich dabei ähnlichen Formaten begegne, werden die Kontexte keineswegs austauschbar. Die Annäherungsprozesse zwischen Design und Kunst beziehen sich auf bestimmte Themen und Präsentationsformate, die in den Feldern behandelt werden, nicht zwangsläufig auf die Felder selbst. Die Frage jedoch, ob es beide Felder in naher Zukunft noch in ihren disziplinären Grenzen geben wird, steht trotz oder gerade wegen aller selbstreflexiven Bemühungen der Protagonisten mit jeder Kritik ebenfalls zur Diskussion. Für den Zürcher Kunst- und Architekturhistoriker Philip Ursprung wird die Disziplin des Designs bald nicht mehr die Rolle eines Antibildes der Kunst spielen, sondern ein übergreifendes Gefäss für alle gestalterischen Disziplinen bilden, da sich Design von einer Kultur der Produktgestaltung zu einem umfassenden ökonomischen und sozialen Gesellschaftsentwurf entwickelt: „So gesehen lautet die Frage weniger, ob Kunst, Architektur und Design miteinander verschmelzen, sondern ob […]Kunst und Architektur im Design aufgehen werden.“[6]
Steht uns also eine Auflösung der einstigen Antagonisten und damit auch ihrer kritischen Rolle für das jeweilige andere Feld bevor? Eine solche Entwicklung ist zwar möglich, erscheint aber angesichts der Statements, mit denen sich Künstler und Designer selbst in dieser Frage positionieren (siehe Interviews in diesem Band), nicht sehr wahrscheinlich. Die Aussagen weisen allesamt auf eine stärkere selbstreflexive Abgrenzung beider Disziplinen hin – Manifeste wie jenes des Critical Design sind ebenfalls ein Anzeichen dafür. Allerdings birgt jede Art von selbstreflexiver Befragung und Kritik das Risiko, letztlich die Existenzberechtigung des Befragten aufs Spiel zu setzen.
Werfen wir noch einmal einen Blick zurück in die Zeit der Greenbergschen Kritik. Was ein permanent erweiterter Kunstbegriff damals gefährdete, rief Adorno den Protagonisten der Kulturindustrie zu Beginn seiner „Ästhetischen Theorie“ in Erinnerung: „Zur Selbstverständlichkeit wurde, dass nichts, was die Kunst betrifft, mehr selbstverständlich ist […], nicht einmal ihr Existenzrecht.“[7] Nun kann man die Erweiterung des Kunstbegriffes in den 1960er Jahren sicher nicht direkt mit der Situation vergleichen, in der sich die erweiterte Disziplin des Designs heute befindet: Sie erscheint ungleich umfassender und betrifft, wie von Ursprung erwähnt, fast alle Lebensbereiche. Jedoch haben die „Gefährdungen“ und Erweiterungen des Kunstbegriffes (z.B. in den 1960er Jahren mit Pop- und Minimal-Art) bisher eben nicht zu einer Auflösung des Kunstfeldes in „Good Design“ oder Popkultur geführt. Ganz im Gegenteil. Neue Räume, Themen und Formate haben sich auch durch einen permanenten Dialog mit dem industriellen Design für die Kunst eröffnet.
Design als künstlerische (Selbst)kritik der Gegenwart: Martin Boyce
Im Rahmen einer Untersuchung der selbstkritischen Rolle des Designs für die Kunst erscheint es weder sinnvoll, weitere begriffliche Verschränkungen nach dem Prinzip „Art+Design=DesignArt“ zu erfinden, noch die unwahrscheinliche Auflösung der einen in der anderen Disziplin zu projizieren. Das Greenberg’sche Urteil aus den 1960er Jahren hat trotz allem in aktuellen Diskussionen ganz gut überlebt, wie sich etwa in der anerkennenden Erwähnung einer Kunst als „Design in Reverse“[8] erkennen lässt.
Der schottische Künstler Martin Boyce zeigt im Rahmen einer Gruppenausstellung 2004 eine Installation mit fragmentarischen Ikonen des „Good Design“, die von Kurator Will Bradley genau als dessen Umkehrung interpretiert wird. Die räumliche Inszenierung ist mit einer von Boyce nachgebauten Eames Storage Unit und einer hölzernen Maske ausgestattet. Es handelt sich jedoch nicht um eine perfekte Replik des bekannten Möbels, das vom Museum of Modern Art in der „Good-Design“-Ausstellungsreihe gezeigt wurde. Vielmehr baut Boyce eine Version des Regals, das zwar in seinen Massen dem Original entspricht, aber nicht in den heiteren Primärfarben des Eames-Entwurfes erstrahlt. Im Gegenteil: Aus einer gewissen Entfernung wirkt das Objekt wie ein klar strukturiertes, aber eher abweisendes Architekturmodell. Boyce spielt in seiner Auseinandersetzung auf die versteckte Paranoia des „Good Design“ und der modernen Architektur bzw. deren „dunkle Qualität“ an, die bei Autoren wie Mike Davis (City of Quartz) oder in Bret Easton Ellis` Romanen thematisiert wird. Mit den verschiedenen Versionen der Storage Unit (1997-2004), die anfangs noch in leicht verändertem Massstab nach der Erinnerung des Künstlers konstruiert werden, überführt Boyce das inzwischen musealisierte Design der Nachkriegsmoderne gleichsam in ein anderes Genre des Designs, das er „Noir Moderne“[9] nennt. Zwar wirkt der Vordergrund spielerischer als das abweisende Regal, die Szene macht aber einen etwas beschädigten Eindruck: Grob zerlegte Teile von Arne-Jacobsen-Stühlen hängen an einer Mobile-Konstruktion von der Decke herab. Man kann dies mit Bradley natürlich einfach als Umkehrung des funktional-optimistischen Möbeldesigns der Nachkriegsmoderne deuten: Die Dinge funktionieren dort nicht (mehr) im Sinne des ihnen zu Grunde liegenden „Good Design“-Programms. Dennoch greift Boyce’ Arbeit gezielt auf den symbolischen Wert dieser Möbel zurück, die kulturell bereits einen eigenen Werkstatus behaupten. Mit modernistischen Skulptur- und Architekturelementen kommentiert der Künstler gleichsam die museale Umwertung des Designs. Auf diese Weise ist zwar ihre Funktionalität unterbrochen, aber ihr Programm nicht völlig ins Gegenteil verkehrt. Bedeutet diese Unterbrechung des funktionalen Versprechens nun einfach eine Kritik am Gegenstand des Designs? Oder bezieht sich dieser kritische Vorgang ebenso auf das Programm der Kunst, in deren Kontext die erwähnte Arbeit stattfindet? Einerseits geht es sicher um einen aktuellen und kritischen „Zustandsbericht“ der heiteren US-Nachkriegsmoderne, die in Städten wie Los Angeles auch abweisende Fassaden und „Gated Communities“ hervorgebracht hat. Andererseits schaffen Boyce’ Designfragmente auch einen kritischen Zugang zur Organisation von Raum und stellen die künstlerische Aneignung von bereits musealisierten Dingen anderer Autoren zur Disposition.
Von der Kritik zur Selbstkritik
Gegenüber dem binären Schema der „Über“-Kritik Greenbergs, die quasi aus einer Aussenposition heraus Gutes und Schlechtes, Wahres und Falsches identifizierte, sehe ich heute eine Situation, in der jede Institution bereits über eine eingebaute Kritik-Option verfügt. Mein elektronischer Briefkasten empfängt sicher auch in diesem Moment wieder einen Newsletter mit einer von den institutionellen Kunst-Absendern gesendeten kritischen Haltung. Gerade vor dem Hintergrund des investigativen Journalismus der institutionellen Kritik der 1970er Jahre, die verborgene Mechanismen des Kunstbetriebs sichtbar gemacht hat, nutzen KünstlerInnen diese Mechanismen heute nicht nur in Opposition, sondern auch in Komplizenschaft mit den Institutionen.[10] Gerade das Design sieht Helmut Draxler sogar in einer konstitutiven Rolle für die künstlerische Praxis der Institutionellen Kritik[11].
Wenn ich hier einigen Arbeiten kritisches Potential zuschreibe, dann im Sinne von sichtbaren Kriterien, die in der ästhetischen Erfahrung eine Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Kontexten (z.B. Kunst/Design) und künstlerischen Umgangsweisen (z.B. Aneignung / Nachbau / Beschädigung) möglich machen. Bei Boyce ist sogar das Greenberg’sche Antibild des „Good Design“ – wenn auch in beschädigtem Zustand – noch zu besichtigen. Für diese Art von selbstreflexiver Kritik möchte ich auf den etwas aus der Mode gekommenen Begriff der Selbstkritik zurückgreifen, den Peter Bürger in der Theorie der Avantgarde verwendet.[12] Die historischen Avantgarde-Bewegungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts Jahre sieht Bürger als marxistisch begründete Selbstkritik einer Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft. Den „avantgardistischen Protest“ deutet er als Bestreben, eine Lebenspraxis in Kunst zu überführen, was für den Autor den Zusammenhang zwischen bürgerlicher Kunst-Autonomie des 19. Jahrhunderts und gesellschaftlicher Folgenlosigkeit enthüllt.[13] Damit sollte die Kunst jedoch nicht in einen bürgerlichen Alltag integriert werden, sondern vielmehr eine neue Lebenspraxis von den künstlerischen Avantgarden ausgehen. Mit Pop-Art, Happenings und anderen Kunstformen im erweiterten Feld der 1960er Jahre sieht Bürger die Integration der Lebenspraxis in Kunst jedoch gescheitert, die „Abgehobenheit der Kunst“ besteht seiner Ansicht nach weiter. Eine selbstkritische Bewertung, die sich weniger auf Veränderungen einer Lebenspraxis durch Kunst als vielmehr im eigentlichen Sinne des Wortes auf die selbstreflexiven Veränderungen des Kunstfeldes bezieht, wäre hier sicher zu einem gänzlich anderen Urteil gekommen. Und es erscheint aus heutiger Sicht als fragwürdiges Vorgehen, ein stellvertretend für die Protagonisten historischer Avantgarden formuliertes Vorhaben als verbindliches Ziel für die künstlerischen Strömungen der 1960er Jahre auszugeben.
Mit einem Blick auf die Beziehungen zwischen Avantgarde-Strömungen der Kunst und den historischen Entwicklungen des Designs – als exemplarischem Ort des Austauschs zwischen Kunst und Lebenspraxis – können die Konsequenzen für das Feld der Kunst bereits in den 1960er Jahren als sehr weit reichend bewertet werden. So ressentimentgeladen oder ignorant die historischen Bewertungen gegenüber den Einflüssen des Designs damals vorgebracht wurden, so sehr verweisen sie (vor allem, wenn man sich Judds „Antwort“ ins Gedächtnis ruft), wie wichtig bereits damals jenes Terrain war, vor dessen Einfluss Greenberg und Bürger ihre Auffassungen von Kunst und Avantgarde schützen wollten.
Mit Selbstkritik meine ich hier weder eine eingebaute Haltung im Sinne von Selbstzensur, noch die einer binären Opposition, wie sie Bürger im Bezug auf die historischen Avantgarden und die Pop-Art (Kunst gegen Lebenspraxis) benutzt. Der Begriff erkennt vielmehr die eigene in Lebenspraxis involvierte und begrenzte Position des „selbst-“ an und formuliert zugleich ein Anliegen, Differenzen „-kritisch“ sichtbar zu machen. Gegenüber dem gegenwärtig sehr beliebten Begriff der „Criticality“, den Irit Rogoff[14] in Abgrenzung von den historischen Begriffen „Critisism“ und „Critique“ für einen involvierten Zustand des Kritischen vorgeschlagen hat, verweist „Selbstkritik“ eindeutiger auf die Perspektive des Kritikers sowie die Eingebundenheit des kritisierten Gegenstands in ein System aus selbstreflexiven Bedeutungen und Konventionen.
Differenzstrukturen: Liam Gillick
Kritische Unterscheidungen werden jedoch bei Arbeiten viel schwieriger, die keine einzelnen Objekte, Referenzen oder Herstellungsweisen mehr sichtbar machen, sondern vielmehr eine Struktur bereitstellen, die alle möglichen Bereiche einer Kunst-Öffentlichkeit durchdringt. Liam Gillick – für Alex Coles ein Hauptbeispiel der DesignArt-Verschmelzung – empfängt die Besucher des Moderna Museet (Stockholm, 2000) mit einer raumgreifenden Innenarchitektur, deren Materialien an Messen und Einkaufszentren erinnert. Die anderen künstlerischen Beiträge der Gruppenausstellung What If: Art on the Verge of Architecture and Design werden durch sein Raster aus mehrfarbigen Plexiglasplatten strukturiert. Einzelne referenzielle Ausgangspunkte oder Spuren des Herstellungsprozesses sind in Gillicks Arbeit nicht mehr zu identifizieren. Allerdings legt Gillick in seinen zahlreichen Schriften, Interviews und anderen medial übertragenen Äusserungen sehr wohl zahlreiche Ankerpunkte offen, von denen er in seiner Arbeit ausgeht. In seinem Ausstellungsdesign entwickelt sich im ersten Moment jene konsumistische „Ambient“-Einstimmung, die Stefan Römer[15] parallel zur privatisierten Shopping-Möblierung öffentlicher Räume in den 1990er Jahren so kritisch beobachtet hat. Begegnen wir damit auch einer Kunst, die im Sinne von Ursprungs Prognose bereits völlig zum Bestandteil einer Design-Atmosphäre geworden ist? Und bedeutet diese künstlerische Praxis damit auch ein Ende der selbstkritischen Rolle des Designs für die Kunst? Auch wenn es dort zunächst ganz danach aussieht, haben wir es bei Gillick wohl eher mit dem Gegenteil zu tun.
Obwohl der Künstler völlig eine Materialsprache der zeitgenössischen Messegestaltung übernimmt, bringt er damit weder die Ausstellungsräume der Kunst noch deren Konventionen vollends zum Verschwinden. Dies fällt gerade im Gegensatz zu den totalen Design-Installationen der 1990er Jahre auf, die Kunsträume völlig in funktionale Alltagsräume verwandelten. In der Leseecke von Douglas Gordon, dem Café von Jorge Pardo oder der Kantine von Rirkrit Tiravanija forderte das Design von Einrichtungsgegenständen oft zu einer expliziten Teilnahme an den Ausstellungen auf. Allerdings inszenieren Gillicks Installationen im Unterschied zu Pardo oder Tiravanija keine Teilnahme-Erlebnisse des Publikums im Kunstraum, obwohl die Titel seiner Arbeiten manchmal auf die Möglichkeit einer Handlung verweisen. So entstanden in den vergangenen Jahren einige „Diskussionsmöbel“: Ein Tisch wird als Multiplied Discussion Structure (2007) angekündigt, ein Jahr später entsteht eine regalartige Konstruktion, die sich als Suspended Discussion dem Publikum in den Weg stellt. Möbel und Architektur bilden zwar ein totales Ausstellungsdesign, das aber nur eine vage Andeutung zur möglichen Nutzung macht: Wer ist an der im Titel genannten Diskussion eigentlich beteiligt? Und wird durch Gillicks Strukturen überhaupt etwas ermöglicht? Es könnte nämlich sein, dass hier niemand teilnimmt und keine Handlung stattfindet. Konsumiert man bei Gordon, Pardo oder Tiravanija tatsächlich Publikationen, Speisen oder Getränke, bleiben Gillicks Ausstellungen eine Art Hülle, eine Verpackung mit aufwändig materialisierten Ankündigungen aus halbtransparenten Kunststoffplatten, beschichtetem Aluminium und grossflächigen Wandtexten. Gerade weil Gillicks Arbeiten weder völlig in einer Dienstleistung am Publikum noch im Design eines auffordernden Gegenstands aufgehen, beharren sie auf einer kritischen Unterscheidung zwischen beiden Disziplinen: man könnte hier vielleicht von Differenzstrukturen sprechen. „In common with many people of my generation I embraced certain aspects of design as a part of critique of established terms of judgement within the art context“[16], so Gillick 2002. Design-Aspekte übernehmen nach dieser Aussage eine kritische Rolle auf der Bühne der Kunst, indem sie Teil einer künstlerischen Kritik an bestimmten Konventionen des Ausstellens und des Urteilens über Kunst werden.
Selbstkritische Konflikte
Wenn bei Gillick und Boyce auf sehr unterschiedliche Weise eine Annäherung an das Design stattfindet, dann bezieht sie sich auf bestimmte gemeinsame Themen: Atmosphären (halb)öffentlicher Räume, Materialästhetik von „Benutzeroberflächen“ oder das musealisierte Design der Moderne. Und mit dem Format der Installation haben beide Disziplinen eine Präsentationsform parallel weiterentwickelt, die sowohl einem erweiterten Werkbegriff der Kunst als auch der Entstehung eines Werkbegriffs im Design entspricht. Ganz im Sinne von Judds Loft-Präsentation werden auch in der Gegenwartskunst immer wieder Ausstellungssituationen geschaffen, die auf eine Zuspitzung von Konflikten zwischen den Konventionen der Disziplinen hinauslaufen, nicht jedoch auf deren Auflösung in der einen oder anderen Richtung. Dass gerade zeitgenössische KünstlerInnen, die sich stark auf Design beziehen, die Grenzen ihrer Disziplin trotz Verschmelzungsprognosen von Theoretikern und Ausstellungsmachern nicht überschreiten, ist sicher kein Zufall – hätte sich doch in diesem Fall der Gegenstand der Kritik plötzlich aufgelöst. Mit einer fragmentarischen Übernahme von Materialien und Referenzen des Designs entstehen Konflikte in der Kunst, die im Modellcharakter einer Ausstellung einen kritischen Diskurs über ökonomische und soziale Faktoren ermöglichen. Intensiv wurde im vergangenen Jahrzehnt nach einem entsprechenden Begriff (DesignArt, Critical Design etc.) gesucht, um die veränderten Beziehungen zwischen den Disziplinen und deren Potential angemessen zu reflektieren. Letztlich entbehrt dieser Versuch, zumindest auf sprachlicher Ebene an einer Verschmelzung von Kunst und Design zu arbeiten, jedoch einer Grundlage in dem Selbstverständnis und der Praxis von KünstlerInnen und DesignerInnen. Und darüber hinaus habe ich den Eindruck, dass diese Wortschöpfungen trotz positiver Rhetorik die Logik der Greenberg’schen Ära nach dem Motto fortsetzen: Jene Kunst, die sich mit Design beschäftigt, gehört eigentlich in eine andere Disziplin. Mit der Schaffung einer „neuen Disziplin“ entledigt man sich ganz nebenbei aller Probleme, die aus einer selbstkritischen Betrachtung der Disziplinen Kunst und Design entstehen könnten. Es scheint jedoch wenig fruchtbar, in diesen Fällen mit einem Ein- und Ausschlussverfahren aus der Disziplin zu drohen oder zu locken. Werden die gegenwärtigen und historischen Differenzen beider Disziplinen jedoch im Modus einer „Selbstkritik“ berücksichtigt, könnten Theorie und Kritik endlich an den Problemen arbeiten, die eine Designrezeption in der Kunst seit dem 19. Jahrhundert bereits fruchtbar gemacht hat.
Anmerkungen
[1] Clement Greenberg, „The Recentness of Sculpture“, in: Gregory Battcock (Hg.), Minimal Art, A Critical Anthology, London 1995, S. 184 [1967]
[2] Donald Judd: „Complaints: part I“, in: Studio International, an illustrated magazine of fine and applied arts, London, April 1969, zitiert nach: Donald Judd, Complete writings 1959-1975, Halifax 2005, S. 197-199
[3]Anthony Dunne und Fiona Raby, Critical Design FAQ, 2007, entwickelt für die Ausstellung Designing Critical Design im belgischen Kunstraum Z33, http://www.dunneandraby.co.uk/content/bydandr/13/0, Zugriff am 13.01.2011
[4] Joe Scanlan und Neal Jackson, „Please, Eat the Daisies”, in: Art Issues 66, Los Angeles, 26. Januar 2001
[5] Alex Coles, DesignArt, London 2005
[6] Philip Ursprung, „Disziplinierung: Absorbiert das Design die Kunst?“, in: Gerald Bast, Krüger & Pardeller, Monika Pessler (Hg.), Das Phänomen Raum in Kunst, Architektur und Design, Wien 2009, S. 144-148
[7] Theordor W Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt 1972. S. 9
[8] Will Bradley, „Design in Reverse – Martin Boyce“, in: Ingvild Goetz, Rainald Schumacher (Hg.), Sculptural Sphere, Ostfildern, 2004, S. 49-56
[9] Seitenverweis Interview im Buch:
[10] Barbara Steiner, „Corruption, Corruptibiliy and Complicity“, in: Monika Szewczyk (Hg.), Meaning Liam Gillick, Cambridge MA, 2009, S. 78
[11] Helmut Draxler, „Loos Lassen! Institutional Critique und Design“, in: Texte zur Kunst Nr. 59, Berlin 2005, S. 66
[12] Peter Bürger, Theorie der Avantgarde, Frankfurt 1974
[13] Ebd., S. 29
[14] Irit Rogoff, „What is a Theorist?“ http://www.kein.org/node/62, 2006, Zugriff am 13.01.2011
[15] Stefan Römer, „Eine Kartographie – vom Whitecube zum Ambient“, in: Christian Kravagna, Das Museum als Arena – institutionskritische Texte von KünstlerInnen, Köln, 2001 S. 155-162, (Text wurde als Vortrag 1997 erstmals veröffentlicht)
[16] Liam Gillick, „The Semiotics of the Built World“, in: Monika Szewczyk (Hg.), Liam Gillick, The Woodway, Whitechapel Gallery, London 2002, S. 81