Wer schon einmal die Zeit zwischen zwei Ausstellungen in einem Kunstraum erlebt hat, erinnert sich sicherlich an eine hektische Baustelle. Die Spuren der letzten Ausstellung werden entfernt und durch ein neues System ersetzt. Während dieses Umbaus sorgen künstlerische Praktiken, kuratorische Ansprüche sowie architektonische Vorgaben oft für das totale Verschwinden der ursprünglichen Raumsituation. Umbau untersucht in diesem Zusammenhang die verschiedenen Ansprüche, welche an den Ausstellungsraum gestellt werden. Für diese Untersuchung wird die Ausstellungshalle von den eingeladenen Künstlern bewertet, um räumliche Perspektiven erweitert oder sogar verletzt. Die künstlerischen Gesten der einzelnen Arbeiten erkunden verschiedene Möglichkeiten, sich in der symbolischen Deutung und architektonischen Struktur von Räumen zu orientieren.
Durch veränderte Grundrisse bestimmt Felix Schramm die Struktur des Ausstellungsraums neu. Schnellbaumaterial wie gebrochene Gipsplatten, Bauholz und Fundstücke thematisieren die Konstruktion des architektonischen Raumes. Der Künstler übernimmt in seinen räumlichen Eingriffen die materielle Sprache von Sichtblenden, die in zeitgenössischer Architektur oft funktionale Details kaschieren. Schramm teilt die Ausstellungshalle in drei Sektoren, die über Fragmente quer liegender Wandteile miteinander verbunden sind. Inmitten gewöhnlicher weisser Gipswände ragen nun Wandstücke heraus, deren Statik nur schwer zu durchschauen ist. Von einem rohen Holzgerüst gestützt, staken die doppelten Gipswände nun mitten im Raum und verletzen ihr eigenes Wandgerüst. Dabei befindet man sich bei Felix Schramm keineswegs auf einer Baustelle. Vielmehr scheint es, als hätte der Künstler die Wandstruktur nur in das Zentrum des Raumes verschoben. Für den Blick des Betrachters lässt sich kein Standpunkt finden, der einen Überblick auf die gesamte Konstruktion gewährt – vielmehr installiert Schramm einen Störsender für die räumliche Orientierung. So entsteht eine Raumcollage, die nur zersplitterte Perspektiven auf skulpturale und installative Momente der Arbeit zulässt.
Jeroen Jongeleen hinterlässt Spuren, die auf den ersten Blick wie eine zufällige Verschmutzung wirken. Direkte Bezüge, die auf Körperteile oder Kleidungsstücke wie Schuhe schliessen lassen, sind meist verwischt oder nur vage angedeutet. Einzelne Motive setzen sich wie eine Zeichnung aus vielen Strichen zusammen. Auf Augenhöhe ziehen sich die Spuren entlang der Wand und könnten auch als Horizontlinie einer Landschaft gelesen werden. Der Künstler benutzt zwar Materialspuren und –abdrücke aus der näheren Umgebung, konkrete geographische Hinweise spielen bei der Arbeit jedoch kaum noch eine Rolle. Jongeleen arbeitet seit einiger Zeit mit Horizontlinien, die er an Häuserwänden und in Galerieräumen wie eine Art Orientierungshilfe anbringt. Als Influenza bezeichnet der Künstler diese Werkgruppe und meint damit, bestimmte Orte und deren Codes wie „Aussenraum“, „Kunstraum“,„Innenraum“ usw. durch seine Arbeit zu infizieren. Alltägliche visuelle Zuordnungen (wie z.B. „Schmutz“) nutzt Jongeleen, um sie im Kunstkontext als autonome Sprache einzuführen.
Clemens von Wedemeyer lässt die Protagonisten seiner Filmarbeit Otjesd (Weggang) in einer labyrinthartigen Peripherielandschaft hin- und herstreifen. Sie suchen offensichtlich nach einem Ausgang, verhandeln und fragen. Für die Szenerie hat Wedemeyer in Moskau Emigranten und Reisende beim Warten vor der deutschen Botschaft beobachtet – jedoch den Film nicht auf russischem Boden produziert. Zurück in Berlin, fragte der Künstler russische Einwanderer als Darsteller für Otjesd an. Die Handlung gleicht einer fortwährenden Diskussion über mögliche Wege, sich in unsicherer Umgebung zu recht zu finden – immer mit einem imaginären Ziel vor Augen. Trotz fortwährender Kamerafahrt um die eigene Achse treten die gezeigten Personen auf einer Stelle, sie können sich nicht wirklich an einen anderen Ort bewegen. Auch nach unzähligen Sicherheitsschleusen ist das Botschaftsgebäude nicht in Sicht. Alle Bauten des Films ähneln improvisierten Marktständen, die ihre Orientierungshilfen im Visa-Labyrinth anbieten. Die Handlung spielt in einer Berliner Peripherielandschaft, deren Nutzung noch wenig klar abgesteckt scheint. Bewusst verzichtet von Wedemeyer auf deutsche Untertitel und versetzt damit das Publikum in die Rolle eines fremden Zuschauers, der die Situation – wie die Migranten selbst – zunächst nur nach den Handlungen und Gesten zu deuten vermag.
Andrea Winkler verschiebt durch den Gebrauch von Objekten aus Papier, Folie und verschiedenen Baumaterialien die Schwerpunkte der Aufmerksamkeit in einem Raum. Man könnte bei ihrer Arbeitsweise auch von einem Abtasten sprechen, dem Aufspüren der architektonischen Eigenheiten und die Kennzeichnung ihrer spezifischen Bedingungen. Mit ihrer Montagetechnik erinnern die Arbeiten an Assemblagen, da die oftmals flachen Materialien wie Stoffe und Folien auf den ebenen Wandoberflächen und dem Boden eine plastische Form andeuten. An einer Ziegelwand fällt eine Silber/Goldfolie bis zum Boden und endet dort in einer Rolle. Die sichtbare Struktur des Mauerwerks wird durch diesen künstlerischen Eingriff teilweise betont, zum Teil verschwindet die pittoreske Innenfassade des Lagerhauses völlig unter diesem auffälligen Vorhang. Ein Stapel aus Kalksandstein mitten im Raum konfrontiert uns mit dem blossen Material der ursprünglichen Bausubstanz. Allerdings bildet der Ziegelhaufen keineswegs eine Mauer im Raum, sondern kann allenfalls als deren Andeutung gelten. Die einzelnen Elemente der Installation scheinen etwas anzukündigen, was sich etwa noch hinter einem Vorhang oder einer bestimmten Anordnung von Dekorations- und Baumaterialien verbergen könnte. In einer skulpturalen und zugleich installativen Erzählung entwirft Andrea Winkler gleichsam ein eigenes Orientierungssystem für die Wahrnehmung des Ausstellungsraumes.
Gruppenausstellung mit Felix Schramm, Clemens von Wedemeyer, Jeroen Jongeleen, Andrea Winkler
Ausstellungsort: Kunsthalle St. Gallen, Davidstrasse 40, CH-9000 St. Gallen