Erschienen in: Kathrin Busch, Burkhard Meltzer, Tido von Oppeln (Hgg.), Ausstellen-Zur Kritik der Wirksamkeit in den Künsten, Diaphanes, Zürich 2016
Über unauffällige Ausstellungssituationen
Der folgende Text kreist um zwei Installationen von Sean Edwards, die ich als zweifelhafte Konstellationen bezeichnen möchte. Zwischen unscheinbaren Resten und auffallenden Situationen wirkt dabei gerade das besonders Unauffällige dubios – als Zweifel, der die Glaubwürdigkeit einer Begegnung betrifft.[1] Damit bezweifle ich nicht nur, ob wir uns in einem Ausstellungs- oder Alltagskontext befinden. Vielmehr steht hier auch ein Verständnis des Unauffälligen selbst, wie es durch zeitgenössische Kunst thematisiert wird, zur Diskussion. Die bereits in die Jahre gekommene Diskussion über eine Ästhetisierung des Alltags gibt einen Hinweis darauf, dass alltägliche Umgebungen nicht mit Zonen des Unauffälligen gleichgesetzt werden können. Dies bedeutet nicht, dass nun jede Form von Selbstverständlichkeit aus alltäglichen Routinen verschwunden wäre. Allerdings muss man damit rechnen, dass die unhinterfragte Selbstverständlichkeit, wie sie in alltäglichen Situationen vorkommt, von der Disziplin industrieller Gestaltung reflektiert oder in Zweifel gezogen wird. Aus dieser Perspektive spielen alltägliche Dinge, mit denen wir im Gebrauch mehr oder weniger selbstverständlich umgehen, in Sean Edwards Arbeiten eine doppelt dubiose Rolle. Einmal aufgrund einer heiklen Balance zwischen Unauffälligem und Auffälligem, zum anderen in Gestalt von mehr oder weniger auffällig gestalteten Verpackungen und Materialresten.
Das Unauffällige ist – vor allem in Begegnungen mit alltäglichen Dingen – längst zum Schauplatz ästhetischer Debatten geworden. Es handelt sich dabei um eine Zone, in der eine gelebte Praxis durch industrielles Design reflektiert, verhandelt und vermittelt wird. Industriell gestaltete Alltagsdinge rufen trotz ihres alltäglichen Gebrauchskontextes ein gewisses Befremden hervor – ein Befremden, das auf dem merkwürdigen Eindruck gründet, man habe es mit ziemlich eigenständigen Akteuren zu tun. Darauf hat bereits Georg Simmel zu Beginn des 20. Jahrhunderts hingewiesen. Diese Eigenständigkeit der industriell hergestellten Dinge hat aber nicht nur eine befremdende Wirkung in alltäglichen Situationen zur Folge, sondern ruft selbst auch eine Art Wirklichkeitseffekt hervor. Trotz aller Eigenständigkeit, mit der alltägliche Dinge in Erscheinung treten, kann gerade ihr Stil in einem umfassenden Sinne auch als Eingebundensein in eine gesellschaftliche Sphäre, gleichsam als sozialer Ort, verstanden werden. Versteht man Situationen des Ausstellens vor dem Hintergrund dieses erweiterten Stilbegriffes, lässt dies sowohl an einem eindeutig deaktivierenden wie auch an einem eindeutig aktivierenden Verständnis des Ausstellens zweifeln.
Stil als sozialer Ort
Im Folgenden werde ich diese Situationen als dubiose Begegnungen bezeichnen, in denen es auf bestimmte Weise um Stilfragen geht. Es sind Stilfragen im Kontext einer Ökonomie, die ihre Warenwerte vor allem in Form sinnlicher Erfahrung herstellt.[2] Ina Blom hat vor diesem Hintergrund eine neue Lesart des Stilbegriffs als »soziale[m] Ort«[3] entwickelt – vor allem mit Blick auf Arbeiten von Jorge Pardo, Tobias Rehberger, Liam Gillick oder Rirkrit Tiravanija. Unter dem Stichwort der Relationalen Ästhetik wurden Installationen vor allem als soziale Treffpunkte gesehen, in denen man zum Beispiel herumhängen, lesen, sich auf mögliche Diskussionen einlassen oder einfach ein paar Tage essen, trinken und schlafen konnte. Man begegnete dort also ausgesprochen alltäglichen Situationen – Situationen, in denen auf Einladung existenzsichernde Grundbedürfnisse nach Ernährung und Kommunikation gestillt wurden. So unauffällig diese Handlungen an eine Alltagspraxis anknüpfen und so locker der Charakter dieser Veranstaltungen zunächst wirkt, so sehr fällt gleichzeitig das Design von Pardos Lampen, Rehbergers Möbeln oder Gillicks Display-Strukturen auf. Und zwar auf eine Weise, die Ausstellungsräume völlig in gestimmte Atmosphären transformiert – in der Art, wie sie üblicherweise halböffentliche Konsumzonen prägen. Die bisherige Rezeption dieser relationalen Umgebungen wird – abgesehen von Blom – entweder als disziplinäre Verschränkung im Sinne einer »DesignArt«[4] adressiert oder schlicht als Katalysator für »Sozialität« gesehen, die dann meistens – so Bloms Kritik – als von Kunst geschieden aufgefasst wird: »Es wird davon ausgegangen, die Kunst sei ein besonderer Tätigkeitsbereich, der in besonderen (und stets radikalen) Fällen in das grössere Feld oder Gebiet des sogenannten »Sozialen« einbricht […].«[5]
Die Frage nach Teilhabe eines Publikums an dieser Sozialität hat in den vergangenen Jahren für einige Kontroversen gesorgt. So bezweifelt etwa Claire Bishop, ob Relationale Ästhetik tatsächlich den »symbolischen Raum« der Kunst völlig zugunsten einer Sphäre »menschlicher Interaktion« aufgelöst hat, wie Nicolas Bourriaud in seinem programmatischen Text zur erwähnten Künstlergeneration verkündet.[6] Blom greift diese kritische Auseinandersetzung mit Bourriauds utopischem Programm auf, fasst die Frage nach Teilnahme jedoch im Unterschied zu simplen Modellen auffordernder und quasi manipulativer Kunstwerke eher als ein Netzwerk sozialer Beziehungen auf, das nicht nur von Akteuren, sondern ebenso durch Dinge und gestaltete Atmosphären produziert wird. Es ist also der Begriff des Sozialen selbst, den Blom hier im Gegensatz zu Bishops Kritik am nur scheinbaren sozialen Engagement der Relationalen Ästhetik auf ein Netzwerk ausdehnt, indem die konkrete dingliche Anordnung in Kunsträumen nur ein Element der »style site« neben Anderen bildet. In Anlehnung an Latour sieht Blom im »Sozialen kein[en] Kontext, kein Ding unter anderen, sondern [ein] Prinzip der Verknüpfung zwischen Dingen, die selbst gar nicht sozial sind.«[7] Es geht in den erwähnten künstlerischen Arbeiten also eher um ein Modell von Sozialität als um die konkrete Verwirklichung sozialer Begegnungen im Sinne Bourriauds.[8] An den sozialen Orten, denen wir bei Rehberger, Pardo, Gillick oder Tiravanija begegnen, entsteht Stil durch ein Netzwerk aus gestaltetem Interieur und »die Alltagsästhetik in der Selbststilisierung oder Selbstproduktion«[9] des Publikums. Einerseits bedeutet Stil im erweiterten Sinne etwas, dass Werke nicht nur haben (»to have a style«), sondern an dem sie auch permanent arbeiten (»work on«).[10] Blom greift hier also einen ebenso relationalen wie unabgeschlossenen Begriff ästhetischer Produktion auf, wie er von Gernot Böhme im Bezug auf die Atmosphäre und die Ekstasen der Dinge Mitte der neunziger Jahre formuliert worden ist.[11] Andererseits wird der veränderte gesellschaftliche Status von Waren und Kunstwerken gleichermaßen durch Stil erfahrbar. Produkte treten uns heute nicht mehr als isoliertes Ding gegenüber. Vielmehr erscheint ein Warencharakter in der gegenwärtigen Ökonomie vor allem durch Affekte, Gefühle, Stimmungen und Kommunikation.[12]
Stil als künstlerisches Modell einer Sozialität wird hier nicht nur jenseits von einem »überkommenen und im Grunde formalistischen Diskurs über den Rahmen und die Grenzen von Kunst« aufgefasst, sondern vielmehr als »eigenständig[e] kritische Medienkunst«[13]:
»It is an artistic strategy that compels one to see these media machines as producers of social relations before one sees them as producers of specific aesthetic expressions or ideological messages. By reconfiguring media productions as atmospheric spaces, this type of work explores the forces at work in an everyday environment formed and informed by a logic of projection.«[14]
Noch bevor in den Installationen der Relationalen Ästhetik etwas spezifisch adressiert, hergestellt oder initiiert wird, produzieren diese »mediale[n] Maschine[n]« ein soziales Netzwerk. Es ist jenes unspezifisch Soziale, das in den vergangenen Jahren vielkritisiert, aber von Blom gerade als besondere Qualität der genannten künstlerischen Positionen hervorgehoben wird. Auch wenn »mediale Maschine« und »Medienkunst« mehr nach einem mechanistischen als nach einem netzwerkartigen Modell klingt; für Blom ist das Soziale kein Rädchen im kontextuellen Getriebe. Vielmehr handelt es sich dabei um ein relationales Gewebe aus menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren, in dem Stil durch ästhetische Arbeit permanent produziert wird. Der Begriff von Stil als sozialem Ort bezieht sich dabei gleichzeitig auf beide Sphären: Ästhetik und Sozialität, die in gegenseitiger Produktion untrennbar miteinander verschränkt sind. Blom entwickelt diese Vorstellung ästhetischer Arbeit vor dem Hintergrund eines um »Affekte, Gefühle, Sensibilitäten und Kommunikation – kurz: soziale Beziehungen«[15] erweiterten Dingbegriffes, der sowohl den veränderten Status von Waren als auch von Kunstwerken betrifft.
Design spielt an diesem Ort der Verhandlung zwischen Dingen sowie ökonomischen und sozialen Beziehungen zwar eine Hauptrolle[16], wird jedoch nicht als disziplinär geprägter Diskurs adressiert. Vielmehr ist von Design – ausgehend von künstlerischen Strömungen des Konstruktivismus und der Konzeptkunst – als Medium des Stils die Rede. Ein durch industrielle Herstellung historisch geprägter Designbegriff wird von Blom nun auf ästhetisch gestimmte Räume übertragen und als medialer Begriff verwendet. Design als Medium umfasst damit sowohl Dinge und gestaltete Interieurs, die man üblicherweise dieser Disziplin zuordnen würde, als auch auf irgendeine andere Weise wahrnehmbare Einflüsse wie den Schein bestimmter Lichtquellen oder auch die Präsenz medialer Schnittstellen.
»The flexible temporal modulations of memory and affects, represented by the media machines as well as by the stylistics of the inhabited environment, functions as points of connection between real-time and life-time.[…] Such forces are not presented from an ironic or distant perspective, as tools of media manipulation. On the contrary, they constitute the key elements in aesthetic situations or events that draw the viewer in and that are experienced as accessible, and even desirable life-worlds, parallel in so many ways to the ones we live in or wish to live in.«[17]
Design wird hier nicht einfach als manipulative Kraft einer ästhetischen Ökonomie adressiert beziehungsweise kritisiert, sondern vor allem in seinem medialen, das heißt verknüpfenden Charakter wahrgenommen. Es geht um einen Realitätsbezug; ein Verhältnis zur Welt, in der wir leben. Blom vermeidet dabei einseitige Festlegungen des Designbegriffs: einerseits in Abgrenzung von Design als manipulative Strategie, die Realität bloß ästhetisiert; andererseits als Differenz zum Design als gleichsam unmittelbares Werkzeug eines sozialen Lebens, das sich ohne ästhetische Vermittlung dienstbar macht. Insofern kann diese Position auch als Gegenpol zur pauschalen Aufwertung von Sozialität und Praxis, namentlich im Zeichen der Akteur-Netzwerk-Theorie, gesehen werden. Blom argumentiert zwar vor dem theoretischen Hintergrund von Latour, verschiebt aber den Fokus des Netzwerk-Gedankens in Richtung Ästhetik. Sowohl Blom[18] als auch Latour[19] nutzen Design als einen ziemlich diffus angelegten Begriff, der jede disziplinäre Festlegung vermeidet.
Nun wirken Edwards Arbeiten zunächst einmal sehr weit entfernt von jeder stilistischen Debatte. Doch auch wenn der Look Relationaler Ästhetik sich stark von Edwards fragilen, unfertigen und auf gewisse Weise unauffälligen Konstellationen unterscheidet, bilden die Prämissen von Bloms Stil-Debatte einen spannenden Ausgangspunkt für Überlegungen zu dubiosen Begegnungen des Ausstellens. In diesem Zusammenhang ist besonders der offene Charakter des Stils als sozialem Ort bei Blom interessant, der sich vom Stil als Einheitsfigur in der Kunstgeschichte radikal unterscheidet. In ihrem erweiterten Sinn lässt sich die Stilfrage auch als Frage nach dem Ausstellen, beziehungsweise nach einer ästhetischen Arbeit an dem, wie etwas erscheint und mit Gernot Böhme gesprochen »wie wir uns befinden«[20], auffassen. Blom adressiert die Wirklichkeit und Verhandlung sozialer Kontexte, ohne die Perspektive der ästhetischen Arbeit aufzugeben. Dies kann man als eine Art Versuch sehen, einen Realismus der Kunst im Kontext zeitgenössischer Ökonomie zu beschreiben – allerdings ohne Kunst unauffällig in eine soziale Praxis einzubinden oder das Soziale und das Kulturelle völlig getrennt voneinander zu betrachten. Stil als sozialer Ort, der in einem Netzwerk permanent produziert wird, versteht Kunst nicht als privilegierte Sphäre der ästhetischen Arbeit oder einer Erfahrung. Vielmehr vermittelt die materielle und immaterielle Kultur des Designs zwischen den Akteuren des sozialen Orts.
Unauffälliges
Auf einem Fensterbrett begegnet man zwei kleinformatigen Boxen. Die Formate der beiden Kartons ähneln sich, auch farblich existieren Anknüpfungspunkte. Überdies deutet eine fingerbreite Aussparung auf der Unterseite einer der beiden Kartons darauf hin, dass es sich um Basis und Deckel einer Verpackung handelt. Ein Material, das einmal als Hülle für Kleinteile aus dem Baumarkt gedient haben könnte. Oft werden in ähnlichen Boxen Verbindungselemente aufbewahrt, wie sie bei Reparaturen im Haushalt oder im Aufbau von Installationen der zeitgenössischen Kunst zum Einsatz kommen. Geht man von ihrem Volumen und dem Ort aus, an dem die Schachtel uns begegnet, wirkt Beides ausgesprochen unscheinbar: auf der Fensterbank findet sich die nur handgroße Grundfläche der Kartons – an der Schwelle zum Außen, an der äußersten Peripherie des Ausstellungsraums. Unscheinbar wirkt die Situation insofern, da sie uns weniger mit den Konventionen des professionellen Ausstellens – das heißt des Präsentierens und Herausstellens in darauf spezialisierten Institutionen – entgegen tritt, sondern eher in der Art und Weise, wie überflüssige Dinge irgendwo im Alltag abgestellt und vielleicht sogar vergessen werden. Ihre Unscheinbarkeit beruht auf einer vermutlichen Überflüssigkeit, da sie offenbar nicht in einem Gebrauchszusammenhang stehen. Die Schachtel sieht weder verbraucht oder abgenutzt aus, noch ist sie zum Gebrauch gelagert. Sie begegnet uns vielmehr an einem Ort, der in Ausstellungsräumen schnell einmal zur Hand ist, wenn nicht mehr gebrauchte Gefäße oder Verpackungen – etwa geleerte Gläser nach einer Eröffnung oder Kartons aus den Aufbauarbeiten – irgendwo abgestellt werden.
Ebenso beiläufig wäre man fast über eine zu Boden gefallene Supermarkttasche gestolpert, die man im Laufe eines Atelierrundgangs antrifft. Die Tüte ist leer und weist keinerlei Gebrauchsspuren auf – ein Umstand, der gerade angesichts eines Gegenstands mit so geringer Lebensdauer merkwürdig erscheint. Zunächst einmal handelt es sich hierbei ebenso wie im ersten Beispiel um eine ziemlich unauffällige Situation, in der das Abgestellte, Fallengelassene, Übriggebliebene in den Blick gerät. Dass die Tüte sich nicht permanent weiter bewegt, ist einzig dem umgekehrten Trinkglas zu verdanken, dass das zu Boden gefallene Material beschwert. Orange eingefärbt, erinnert es an provisorisch genutzte Gefäße für wasserbasierte Farben. Als das Glas zum still stellenden Gewicht wurde, war die Farbe wohl schon eingetrocknet – nichts deutet darauf hin, dass sich die Substanz dabei noch in flüssigem Zustand befand.
Beiden Konstellationen konnte man in Ausstellungssituationen begegnen. Es war also damit zu rechnen, dass jedes Detail von den konventionellen Regeln dieser Institution gerahmt wird und von einer Zone genereller Bedeutsamkeit ausgegangen werden kann. Es soll hier jedoch nicht um die notorischen Thesen einer Verklärung des Gewöhnlichen gehen, nach der Dinge des alltäglichen Gebrauchs in museale Zusammenhänge überführt werden. Vielmehr interessieren mich gerade jene Formen des Ausstellens, die eher an unauffällige Konstellationen aus dem Alltag erinnern. Es sind Konstellationen mit Material aus dem Gebrauchskontext, die weder einen griffbereiten noch museal gesockelten Eindruck erwecken – flüchtige Anordnungen, denen man in den beiden erwähnten Arbeiten von Sean Edwards begegnet. Formen, die sich unauffällig in Rand- oder Durchgangszonen sammeln und dort fallengelassen oder abgestellt werden. Es handelt sich offenbar um überflüssige Dinge, die mit Roland Barthes gesprochen, gerade deshalb auch einen »Wirklichkeitseffekt« zeitigen.
Jenes Abgestellte erscheint einerseits durch seine beiläufige Platzierung wie auch durch seine vermutliche Überflüssigkeit als das Wirkliche; gleichsam als Anstoß in einer Auseinandersetzung um die Frage, was wir unter Wirklichkeit verstehen und wie wir ihr begegnen. Ist vom Unauffälligen die Rede, scheint die Stilfrage zunächst keine Rolle zu spielen. Mehr noch: Ein geläufiges Verständnis des Stils als besonders auffälliges Gestaltungskonzept scheint mit dem Unauffälligen und Beiläufigen unvereinbar. Fasst man jedoch Stil im Sinne Bloms nicht primär als einen bestimmten Look, sondern als sozialen Ort auf, wird das Netzwerk eines Stils auch von beiläufig alltäglichen Elementen geknüpft. Das heißt nicht, dass auffallende Gestaltungselemente nun überhaupt keine Rolle mehr spielen. Nur verschiebt sich das Verständnis von Gestaltung von einer bloß visuellen Auffälligkeit hin zu einem eng miteinander verwobenen Geflecht ästhetischer Arbeit. Der Bezug zur Wirklichkeit wird dabei sowohl soziologisch als auch ästhetisch vermittelt. In der Verflechtung beider Sphären geht es gerade nicht um einen direkten, unmittelbaren Zugang zu dem, was uns als das Wirkliche begegnet – etwa als Postulat einer Kunst, die in Lebenspraxis oder in sozialen Beziehungen völlig aufgehoben wäre. Vielmehr treffen wir am sozialen Ort des Stils auf einen Effekt des Wirklichen. Im Kontext zeitgenössischer Kunst rufen Edwards abgestellte Materialien einerseits gerade deshalb einen »Wirklichkeitseffekt« hervor, weil sie offensichtlich nicht zuhanden sind. Jene Wirklichkeit, die hier adressiert wird, erschöpft sich also nicht in einem unauffälligen Gebrauch, sondern bezieht sich ebenso auf die Dimension sozialer und ästhetischer Beziehungen. Diese mediatisierte Perspektive auf das Wirkliche bringt es allerdings auch mit sich, dass eine ausgestellte Wirklichkeit zwischen die Vorzeichen des Dubiosen gerät.
Auffallende Überflüssigkeiten
Der literarische Realismus des 19. Jahrhunderts bildet ebenso wie die rhetorischen Figuren der Abschweifung in Antike und Mittelalter den Hintergrund von Barthes These über den »Wirklichkeitseffekt«. So erzählt etwa Gustave Flaubert von überflüssigen Dingen, die nach Barthes Diagnose keine erkennbare erzählerische Funktion hätten: »[…]auf die Funktionslosigkeit der Details kommt es […] nicht an, Hauptsache, es denotiert, was stattgefunden hat; das konkrete Wirkliche wird zur hinreichenden Begründung des Sprechens.«[21] Das heißt »[…] bedeutet wird […] die Kategorie des Wirklichen (und nicht ihre kontingenten Inhalte) anders ausgedrückt, wird dann das Fehlen des Signifikats zugunsten des Referenten zum Signifikat des Realismus: Es kommt zu einem Wirklichkeitseffekt, zur Grundlegung dieses uneingestandenen Wahrscheinlichen, das die Ästhetik aller gängigen Werke der Moderne bildet.«[22] Nun tauchen die überflüssigen Dinge Flauberts im Gegensatz zu den erwähnten Situationen bei Edwards durchaus noch in potentiellen Gebrauchszusammenhängen auf – etwa ein Barometer im kleinbürgerlichen Wohnzimmer. Allerdings wird weder ein Gebrauch dieser Dinge in der Erzählung thematisiert, noch wird ihre Bedeutung literarisch in irgendeinem anderen Zusammenhang deutlich. Das Barometer wird bei Flaubert also neben einigen anderen Dingen als etwas geschildert, das im Raum bloß vorhanden ist. Die Schilderungen Flauberts, so wie Barthes sie sieht, transformieren Alltagsdinge in eine Kategorie des Abgestellten, dessen Verwendung nicht thematisiert wird, ja sogar höchst unwahrscheinlich erscheint.
Der literarische Realismus zeigt sich hier laut Barthes gerade nicht darin, dass die Dinge so in ihrer Verwendung geschildert werden, wie es unserer Erfahrung der Wirklichkeit entsprechen würde. Ganz im Gegenteil: Fragmente einer Wohnungseinrichtung werden als Anwesende ohne Verwendung und Bedeutung vorgestellt. Jene »uneingestandene Wahrscheinlichkeit« besteht darin, dass die Dinge und Räume selbst eine Realität konstituieren, die von der konventionellen Bestimmung ihres Gebrauchs abweichen kann. Oder dass die Dinge vielleicht gar keine bestimmte beziehungsweise besondere literarische Bedeutung haben, sondern gleichwertig neben anderen Dingen und menschlichen Charakteren existieren. Im letzteren Sinne äußert sich auch Jacques Rancière, für den die »Bedeutungslosigkeit der Details ihrer vollständigen Gleichwertigkeit gleich[kommt]. […] Und zwar deswegen, weil sie Menschen betreffen, deren Leben genauso ohne Bedeutung ist.«[23] Rancière sieht in dieser grundsätzlichen Gleichwertigkeit von Dingen und Charakteren ohne bestimmte Bedeutung auch eine explizit politische Dimension – nämlich die Vorstellung von einer bürgerlich-demokratischen Gesellschaft, in der man grundsätzlich nicht von gegebenen Bedeutungen ausgehen kann.
Jene Überflüssigkeit und Bedeutungslosigkeit der Alltagsdinge, von der Barthes und Rancière sprechen, führt jedoch nicht nur zu einem Wirklichkeitseffekt, sondern auch dazu, dass den Dingen eine ziemlich eigenständige Existenz zugeschrieben wird. Das, was geschildert wird, existiert relativ unabhängig von einem konkreten Gebrauchs- und Bedeutungszusammenhang. Dies gilt jedoch nicht nur für die Sphäre der Kunst, wo man üblicherweise eine Distanz zu den genannten Kontexten erwarten würde, sondern ist uns auch aus Alltagssituationen überliefert. So thematisiert Georg Simmel in seinen Notizen zur »sachlichen Kultur« ebenfalls gegen Ende des 19. Jahrhunderts alltägliche Dinge, »die uns als autonome Objekte gegenüber treten.«[24]. Jene Dinge, die in Wohnräumen des Bürgertums seit der Industrialisierung ohne Bedeutung für einen Gebrauch herum stehen, fordern nun als »autonome Objekte« geradezu einen »Fetischdienst«[25] von ihren Mitbewohnern. Für Simmel wird mit der Überflüssigkeit dieser Dinge auch eine bestimmte Dimension von ihnen auffällig – nämlich gerade ihr »Fürsich-sein«, das durch einen »fremden Charakter«[26] in Erscheinung tritt.
Überflüssige Alltagsdinge rufen durch ihr bloßes Dasein die Kategorie der Wirklichkeit auf, ohne etwas Bestimmtes zu bedeuten. Andererseits fallen sie ebenfalls durch eine gewisse Autonomie, einen fremden Charakter ins Auge. Es entsteht ein Realismus in der Kunst, der gerade nicht mit dem Zuhanden-Sein von Gebrauchsdingen, sondern mit dem Überflüssigen und Abgestellten adressiert wird. Dabei kommt es nicht so sehr auf die geänderten Vorzeichen, unter denen Gebrauchsdinge in Kunstzusammenhängen auftauchen, an. Vielmehr ist es das bereits in alltäglichen Situationen Überflüssige beziehungsweise Abgestellte, was hier zur Ausstellung kommt. Die Stildebatte entzündet sich im 19. Jahrhundert – unter anderem initiiert durch Gottfried Semper und Alois Riegl – am Problem des Überflüssigen und der Gebrauchsformen in der Kunstindustrie. Auf der Produktionsebene stehen durch die Industrialisierung nun neue Möglichkeiten zur Verfügung, die von einem Stilverständnis des Kunsthandwerks nicht mehr bewältigt werden – zumindest nicht mehr in dem Sinne, dass daraus zuhandene und im Sempers Sinne »schöne« Gebrauchsdinge enstehen würden: »Der Überfluss an Mitteln ist die erste grosse Gefahr, mit welcher die Kunst zu ringen hat. Die Praxis müht sich vergeblich ab, Herr ihres Stoffes zu werden […]«, meint Semper nach dem Besuch der ersten Londoner Weltausstellung 1851[27] und nennt als Beispiel dafür Gasbeleuchtungen, die man wie »Kerzen oder Öllampen«[28] erscheinen lässt. Als Vorbildhaft wird dagegen die industrialisierte, billige Baukastenarchitektur in den USA geschildert, die völlig »auf den Markt berechnet und zugeschnitten«[29] ist. Für einen der industriellen Produktion angemessenen Stil entwickelt Semper den Begriff des »Kunstwerdens«, womit besonders die materiell-technischen Aspekte eines Artefakts sowie dessen historische Produktionsbedingungen berücksichtigt werden. Eine »beim Prozess des Werdens und Entstehens von Kunsterscheinungen hervortretende Gesetzlichkeit und Ordnung« soll in Zukunft »die Grundzüge einer empirischen Kunstlehre«[30] bilden. »Kunstlehre« bezieht sich dabei nicht primär auf Bildende Kunst im engeren Sinne, sondern auf alle gestalteten Artefakte. Alois Riegl entwirft um die Jahrhundertwende einen Stilbegriff »als Resultat eines bestimmten zweckbewussten Kunstwollens«.[31] Aus dem um Distanz bemühten »Kunstwerden« bei Semper entsteht nun bei Riegl ein »Kunstwollen«, das »mit den übrigen Hauptäusserungsformen des menschlichen Wollens während der gleichen Zeitperiode […] schlechtweg identisch«[32] ist. Stil gilt hier weniger als einheitlicher Look, sondern als Ort, wo der »Wille« beziehungsweise die Formen einer Gemeinschaft verhandelt werden. Es ist die Sozialität des späten Roms, in die sich der Historiker Riegl retrospektiv einfühlt. Semper und Riegl etablieren bereits im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen erweiterten Stilbegriff, der sich weder auf einen bestimmten Formenkanon noch auf Kunst beschränkt.[33] Im Gegenteil: gerade am Beispiel kunstgewerblich oder industriell hergestellter Gebrauchsdinge zeigt sich Stil hier als ein sozialer Ort. Bei Blom wird die mit der Entstehung des Industriedesigns in Europa verknüpfte Entwicklung eines Stilbegriffs als Verhandlung von Gemeinschaft jedoch ausgeblendet. Sieht man von einer knappen Bemerkung zum Jugendstil ab, setzt die historische Erzählung dort erst mit dem Konstruktivismus der 1920er Jahre ein.
Abgestelltes sammelt sich oft an Orten, die in Situationen zwischen Gebrauch und Lagerung gerade zu Hand sind. Es handelt sich häufig um Rand- und Zwischenzonen, die im selbstverständlichen Verlauf gewöhnlicher Tätigkeiten nicht unmittelbar auffallen. Damit kann Abgestelltes selbst temporär zu einem Teil des unauffälligen Alltags werden. Trotzdem wird es immer wieder durch seinen eigenständigen oder sogar fremden Charakter auffällig – einen Charakter, der offensichtlich nicht primär an einen möglichen Gebrauch gebunden ist. So tritt besonders in Situationen, wo Überflüssiges abgestellt wird, die Gestaltung von Oberflächen und Materialien in den Vordergrund. Denken wir noch einmal an die Begegnung mit den zwei abgestellten Schachteln bei Sean Edwards zurück: Eine davon fällt durch ein besonders auffälliges Muster, das die Oberfläche mit einer Art 3D-Effekt wiederum in Boxen zerteilt, ins Auge. Keineswegs handelt es sich dabei um eine Ankündigung des möglichen Inhalts oder sogar eines bestimmten Gebrauchs, sondern eher um einen selbstreflexiven Kommentar zum Status als Verpackung, in der sich alles Mögliche verbergen könnte. Auch bei jener Supermarkttüte, der man auf dem Boden einer Open-Studio-Ausstellung 2006 und danach in modifizierter Form in einigen anderen Ausstellungen von Edwards begegnen konnte, handelt es sich um ein abstrakt gemustertes Exemplar, das auf den ersten Blick keine Auskunft zu Händlermarke oder Inhalt verspricht. Gestaltungsaffinen Beobachtern oder Sammlern (es existiert ein spezialisierter Markt für gut erhaltene Supermarkttüten) wird darüber hinaus auffallen, dass es sich um eine Tüte der britischen Kette Tesco aus den 1970er Jahren handelt. Sowohl Tüte als auch Schachtel zeichnen sich durch eine Oberflächengestaltung aus, die in besonderer Weise auf den Status dieser Dinge als Hülle für alles Mögliche verweist. Dies geschieht unter anderem mit einem Verpackungsdesign, dass statt an Gebrauchszusammenhänge eher an abstrakte Muster künstlerischer Avantgarden des 20. Jahrhunderts erinnert. In kommerziellen Kontexten wird diese kulturelle Tradition – in den 1960er und 1970er Jahren oft durch Protagonisten der konkreten Kunst – als universell einsetzbare Hülle, die dennoch einen hohen Wiedererkennungswert im Sinne einer Markenkommunikation garantiert, eingeführt. Prominente Beispiele dafür wären etwa Günter Frühtrunks Entwurf des Aldi-Logos oder Anton Stankowskis Deutsche Bank-Logo.
Neben der auffällig unkonkreten Gestaltung, die dem visuellen Charakter von konkreter Kunst entspricht und den Übergangsstatus überflüssig gewordener Verpackungsmaterialien betont, fallen ebenso die besonderen Konstellationen ins Auge, mit denen abgestellte Dinge bei Sean Edwards zu Ausstellungssituationen umgebaut werden. Dabei handelt es sich nicht um eine schlichte Kontextverschiebung in Richtung musealer Konventionen, sondern eher um Konstellationen, die an ein temporäres Um-ordnen im Haushalt denken lassen. Man beginnt etwas neu zu arrangieren, eine Konstellation zwischen Dingen, Oberflächen und Orten auszuprobieren. Etwas Unauffälliges wird auffällig. Dies betrachte ich grundsätzlich als eine Situation des Ausstellens. Es handelt sich dabei um ein Ausstellen, dass weder an bestimmte formale Konventionen gebunden ist, noch durch ein planvolles Handeln herbeigeführt werden muss. Entscheidend ist vielmehr die Auffälligkeit der Situation, der ich begegne.
So fällt bei Edwards etwa das ungewöhnliche Arrangement beider Boxen auf, wobei die eine in so heikler Balance an der schmalen Seite der anderen lehnt, das sie gerade nicht in die eine oder andere Richtung kippt. Jenes Glas, das die zu Boden gefallene Tüte gleichsam arretiert, verdeckt durch eine Ausfaltung des Materials ziemlich genau den Bereich, wo das Markenlogo platziert ist. Einerseits zeitigen überflüssige, abgestellte Dinge mit ihrer unscheinbaren Platzierung im Raum eine Art Wirklichkeitseffekt. Sie sind so unauffällig, wie sie irgendein Dasein bezeugen. Andererseits fallen gerade jene überflüssigen, abgestellten Dinge durch fremdartige Konstellationen auf – Konstellationen, die sich nicht in konventionelle Ordnungen des Daseins einfügen. In jedem Fall – und dies ist ein wichtiger Unterschied zu musealen Konventionen des Ausstellens – basieren diese auffälligen Situationen auf flüchtigen Übergangsformen eines temporären Abstellens.
Dubiose Begegnungen
Man begegnet damit einer Form des Ausstellens, die eher aus lebenspraktischen Zusammenhängen bekannt ist und durch überflüssige Reste aus früherem Gebrauch gleichzeitig ein Abstellen andeutet. Es handelt sich um Konstellationen mit einer fragilen Balance, die ebenso Zweifel an jenem Wirklichkeitseffekt aufkommen lassen, wie sie ihn gleichzeitig hervorrufen. Ich möchte hier von dubiosen Begegnungen sprechen. Dubios, da sich die Kategorie einer unauffälligen Wirklichkeit einerseits mit einem Ausstellen im Alltag und andererseits mit jener industriellen Oberflächengestaltung überlagert, die oft im Zusammenhang mit einer Ästhetisierung genannt wird. Doch Dubios heißt nicht nur, dass sich Unauffälliges und Auffälliges hier gleichsam gegenseitig in Zweifel zieht. Ist von dubiosen Begegnungen die Rede, wird auch eine Glaubwürdigkeit in Frage gestellt.
Blom geht davon aus, dass es sich bei Installationen der relationalen Ästhetik eher um Modelle von Sozialität handelt. Situationen, in denen es weniger darum geht, welche Beziehungen im Netzwerk des sozialen Ortes wirklich entstehen als vielmehr um die Frage, wie wir den vermittelten Formen von Sozialität begegnen. Doch auch wenn das Wirkliche im Kunst-Kontext als Effekt adressiert wird, entsteht ein sozialer Ort als »style site« erst durch soziale Beziehungen. Erscheint die Beziehung zum Wirklichen dubios, steht auch das Vertrauen in jene Beziehungen auf dem Spiel, die das Netzwerk eines sozialen Ortes bilden. Das Glaubwürdigkeitsproblem des Realismus in der Kunst besteht gerade in einem fragwürdigen Verhältnis zur Wirklichkeit, das im auffälligen Ausstellen auch ein unauffälliges Abstellen zeigt. Die Konstellationen, auf die man dabei trifft, signalisieren eine ungewöhnliche Balance zwischen der vorübergehenden Situation des Abstellens und dem möglichen Beginn eines statischen Arrangements. Es handelt sich dabei um reversible Anordnungen von Dingen, für die ein Ausstellen ebenso wie eine Lagerung oder letztlich auch ein Gebrauch vorstellbar sind. Für Blom stellen instabile Situationen in der Gegenwartskunst dagegen weniger ein Glaubwürdigkeitsproblem dar, sondern einen geradezu idealtypischen Zustand der Verhandlung zwischen mehr oder weniger gleichberechtigen sozialen Akteuren – in den Worten Latours so etwas wie ein »Parlament der Dinge«.[34] Das ziemlich merkwürdige Verhältnis abgestellter Dinge zur Wirklichkeit wird dabei jedoch ebenso wenig thematisiert wie deren materieller und gestalterischer Hintergrund in einem industriellen Herstellungsprozess.
Fragwürdig ist bei Edwards nicht nur der Status der Dinge im Hinblick auf ihre Verwendung, sondern auch im Bezug auf ihre Produktion. Industriell gestaltete und produzierte Muster beziehungsweise Oberflächen treffen auf Formen, die offensichtlich in Handarbeit hinzugefügt wurden. An vielen Stellen wird ein kunsthandwerklicher Charakter der manuellen Bearbeitung deutlich. Bastelmaterialien wie Klebeband und dekorative Oberflächenmuster lassen ebenso wie die farbenfroh gestalteten Schnittkanten auf einen Do-It-Yourself-Kontext schließen. Der Imperativ des heimwerkenden Kreativen erweckt hier manchmal den Eindruck eines in Baumarktslogans übersetzten Anspruchs moderner Avantgardebewegungen. Allerdings entstehen aus den handwerklichen Bearbeitungen bei Edwards keine fertigen Produkte, sondern Konstellationen aus industriellem Material in unterschiedlichem Zustand. Man begegnet in diesen Situationen gleichzeitig unterschiedlichen Produktionsstadien der manuellen Nachbearbeitung ebenso wie verschiedenen Produktionsverständnissen: industrieller Herstellung, kunsthandwerklicher Bearbeitung, Verformung durch Abstellen oder Fallenlassen ebenso wie Veränderungen in Konstellationen mit anderem Material. Es geht bei Edwards nicht nur um unterschiedliche Produktionsweisen verschiedener Dinge, sondern auch um das Herstellen des Ausstellens selbst. Ein dubioser Eindruck entsteht ebenso auf der Wahrnehmungs- wie auch auf der Produktionsebene, wo sich professionelles Design, industrielle Herstellung und Basteln überlagern.
Anmerkungen
[1] Die Anregung, meine Überlegungen auf das Thema der Glaubwürdigkeit auszudehnen, verdanke ich einem Kolloquium an der Hochschule Luzern 2012: Eine Frage der Glaubwürdigkeit, organisiert von Marina Belobrovaja und Lucie Kolb.
[2] Ina Blom: »Stil als Ort. Eine Neudefinition der Frage nach Kunst und Sozialität.«, in: K. Gludovatz u.a. (Hg.), Kunsthandeln, Zürich 2010, S. 165–180, hier S. 166.
[3] Ebd., S. 169. Stil versteht Blom »als ein[en] soziale[n] Ort (site), so wie es das Konzept der Ortsbezogenheit beziehungsweise Site Specificity impliziert«.
[4] Alex Coles: DesignArt: on art’s romance with design, London 2005.
[5] Blom: »Stil als Ort. Eine Neudefinition der Frage nach Kunst und Sozialität.«, in: Gludovatz u.a. (Hg.): Kunsthandeln, a.a.O., S. 175.
[6] Claire Bishop: »Antagonism and Relational Aesthetics«, in: October 110 (2004), S. 51–79.
[7] Blom: »Stil als Ort. Eine Neudefinition der Frage nach Kunst und Sozialität.«, in: Gludovatz u.a. (Hg.): Kunsthandeln, a.a.O., S. 177.
[8] Ina Blom: On the Style Site, Art, Sociality and Media Culture, Berlin/New York 2007, S. 134. Im Folgenden beziehe ich mich wechselseitig auf beide Schriften Bloms, die sich mit Stil als sozialem Ort auseinandersetzen. Obwohl Blom im später erschienen, deutschsprachig übersetzten Aufsatz grundsätzlich eine ähnliche Position wie in früheren Schriften vertritt, geht die Autorin hier ausführlicher auf die Rolle des Designs sowie den Bezug zur Wirklichkeit ein.
[9] Blom: »Stil als Ort. Eine Neudefinition der Frage nach Kunst und Sozialität.«, in: Gludovatz u.a.. (Hg.): Kunsthandeln, a.a.O., S. 180.
[10] Blom: On the Style Site, Art, Sociality and Media Culture, a.a.O., S. 13.
[11] Gernot Böhme: Atmosphäre: Essays zur neuen Ästhetik, Frankfurt a. M. 1995.
[12] Blom: On the Style Site, Art, Sociality and Media Culture, a.a.O., S. 15. Im Original: »Just as the standard interpretation of the commodity as a ›thing‹ had to be modified by the fact that a key product of contemporary informational or immaterial economy would be seen to be affects, feelings, sensitivities and communications – in short, social relations.«
[13] Blom: »Stil als Ort. Eine Neudefinition der Frage nach Kunst und Sozialität.«, in: Gludovatz u.a.. (Hg.): Kunsthandeln, a.a.O., S. 167.
[14] Blom: On the Style Site, Art, Sociality and Media Culture, a.a.O., S. 96 f.
[15] a.a.O, S. 15., Übers. d. Autors.
[16] Blom: »Stil als Ort. Eine Neudefinition der Frage nach Kunst und Sozialität.«, in: Gludovatz u.a.. (Hg.): Kunsthandeln, a.a.O., S. 166.
[17] Blom: On the Style Site, Art, Sociality and Media Culture, a.a.O., S. 97.
[18] Blom: »Stil als Ort. Eine Neudefinition der Frage nach Kunst und Sozialität.«, in: Gludovatz u.a. (Hg.): Kunsthandeln, a.a.O., S. 180.
[19] Bruno Latour: »Ein vorsichtiger Prometheus? Einige Schritte hin zu einer Philosophie des Designs, unter besonderer Berücksichtigung von Peter Sloterdijk«, in: M. Jongen u.a. (Hg.): Die Vermessung des Ungeheuren. Philosophie nach Peter Sloterdijk, München 2009, S. 356–373.
[20] Böhme: Atmosphäre: Essays zur neuen Ästhetik, a.a.O., S. 15.
[21] Roland Barthes: »Der Wirklichkeitseffekt«, in: Das Rauschen der Sprache, Frankfurt a. M. 2012, S. 164–172, hier S. 170.
[22] Ebd.
[23] Jacques Rancière: »Der Wirklichkeitseffekt und die Politik der Fiktion«, in: D. Linck u.a. (Hg.): Realismus in den Künsten der Gegenwart, Zürich/Berlin 2010, S. 141–157, hier S. 144.
[24] Georg Simmel: »Persönliche und sachliche Kultur«, in: H.-J. von Dahme u.a. (Hg.): Gesamtausgabe 05. Aufsätze und Abhandlungen 1894 – 1900, Frankfurt a. M. 1992, S. 560–582, hier S. 573 f.
[25] Ebd.
[26] a.a.O., S. 568.
[27] Gottfried Semper: Wissenschaft, Industrie und Kunst, hg. von H.M. Wingler, Mainz/Berlin 1966, S. 33.
[28] Ebd.
[29] a.a.O., S. 40.
[30] a.a.O., S. VII.
[31] Alois Riegl: Spätrömische Kunstindustrie, Wien 1927, S. 9.
[32] a.a.O., S. 401.
[33] Für den Hinweis zu einem erweiterten, vor allem auf »Kunstindustrie« bezogenen Stilbegriff im 19. Jahrhundert danke ich Sabeth Buchmann.
[34] Ina Blom: »In the wake of object fever, art criticism will turn to the politics of things«, in: Texte zur Kunst, 2009, o. S.