– I still have the keys to his appartment.
– Yeah. but do you still have the keys to his heart, stupid bitch?
Drei Frauen und ein Mann ringen in einem historischen Südstaaten-Haus um Liebe und Glück. Kalup Linzys Film Keys To Our Heart (2008) spielt mit den gängigen Klischees einer Soap-Opera. Das Pathos grosser Gefühle verbindet Linzy mit der Leichtigkeit des tagtäglich gesendeten Unterhaltungsformats. Die pointierten Dialoge werden alle von ihm selbst gesprochen. Dabei versucht der Künstler nicht, die Personen möglichst perfekt zu imitieren, sondern mit der eigenen männlichen Stimme alle anderen Figuren zu interpretieren. Auch wenn Kalup Linzy Frauenfiguren spielt, tut er das nicht im Sinne einer völlig verkleideten drag performance, sondern fällt immer wieder aus seinen Rollen heraus. Auf diese Weise erweitert der Künstler das Genre der Soap Opera und des klischierten Rollenspiels um eine dramatische und zugleich komische Komponente: Er zerlegt gleichsam die emphatische Identifikation des Publikums mit den Film-Charakteren.
In Geschichten, die scheinbar ohne Ende immer weiter laufen (z.B. wird die britische TV Soap East Enders ununterbrochen seit 35 Jahren gesendet) baut sich eine erzählerische Parallelwelt zur erlebten Realzeit des Publikums auf. Man kann davon ausgehen, dass die Soap Opera in ihrer Verbreitung das erfolgreichste dramatische Format des Medienzeitalters ist. Vor allem für das Medium Fernsehen ist das sicherlich ein Glücksfall: Auch in den Zeiten von youtube und anderen Internetplattformen erfreuen sich TV- Soap-Operas ungebrochener Beliebtheit. Zuerst in den 1930er Jahren als Radioformat in den USA produziert, um die Vermarktung von Haushaltsprodukten (u.a. Seifen) anzukurbeln, wurde die Daily Soap zum vertrauten, imaginären Lebenspartner der suburbanen Konsument/in – eine emotionale Begleitung für den Verbraucher und gleichzeitig zum Spiegel allgegenwärtiger Identitätsfragen der Konsumgesellschaft. In ebenso faszinierender Weise wie eine Konsumwelt, wo eine unendliche Auswahl an Produkten zur Verfügung steht und jeder Wunsch anscheinend realisiert werden kann, „schenkt“ die Soap Opera ihrem Publikum aus der Distanz eine Auswahl an Emotionen. Die Vielfalt an Auswahlmöglichkeiten in der Konsumgesellschaft überschwemmt materiell und emotional die individuelle Wahrnehmung. Die älltaglichen Erzählungen der Fernsehserie führen eine schizophrene Beziehung zur Umgebung in das Alltagsleben ein und schaffen auf diese Weise die eine Vielzahl von parallelen Realitäten. Gleichzeitig bieten sie paradoxerweise eine neue „identifikatorische Parole“ (de Certeau) an, die auf eine Art den Platz einer verlorenen oralen Tradition des Geschichtenerzählens übernehmen: Serien werden zum gemeinsamen Gesprächthema. Ihre fiktionale Dimension verankert den Verbraucher in der Konsumgesellschaft, indem das Ritual des Geschichtenerzählens wieder zum alltäglichen Begleiter wird.
Neben der Endlosigkeit ihrer Erzählungen ist die Dominanz der Sprache allen Soaps gemeinsam: Alles muss gleichermassen in zweitrangigen Gesten und kritischen Momenten erzählt werden, um auch die minimalen zeitlichen Lücken zu überbrücken oder durch Nacherzählungen „verpasste“ Momente zu vergegenwärtigen. Dabei wird die Emotionalität alltäglicher Situationen sprachlich und gestisch aufgenommen, routiniert wiederholt und immer wieder zu dramatischen Wendungen geführt. Die Stoffe des bürgerlichen Theaterdramas – schwierige Entscheidungen des Individuums unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen – scheinen in Arbeiten von Karen Cytter auf.
Nach einer Arbeit von Kalup Linzy benannt, knüpft Keys To Our Heart an die standardisierte Art der Gefühlsäusserung in gewissen Soap Operas und dem filmischem Melodram an. Bei Kalup Linzy, Phill Collins oder Quynh Dong gelingt es den Geschichten, trotz oder gerade wegen der überdeutlichen Zurschaustellung von Gefühlen und Sehnsüchten, eine emotionale Bindung zu ihrem Publikum aufzubauen. Der Key To Our Heart scheint bereits gefunden. Shana Moulton, Anja Kirschner & David Panos, Claire Hooper oder Ryan Trecartin versetzen ihre Protagonisten in surreal dargestellte Orte und Situationen. Trecartins äusserst schnell geschnittene Clips bringen die Ästhetik von Musikvideo, Doku-Homestory und Soap zusammen. Eine junge Generation von KünstlerInnen reflektiert in ihren Filmen den taktischen Einsatz von kulturelle Verbindungen zwischen Werbung und Drama, vorgegebenen Mustern und Emotionen sowie Rollenspiel und alltäglicher Routine im Erzählprinzip der Soap Opera.
Programm:
- Ankündigungsfilme/Trailer in Wiederholung: Pauline Curnier Jardin. Alle anderen Filme können jeweils um 22:00 Uhr Lokalzeit (weltweit) abgerufen werden.
- 14. Juni: Kalup Linzy, Keys to Our Heart, 2008
- 15. Juni: Quynh Dong, Paradise, 2012
- 18. Juni: Shana Moulton, Whispering Pines Part 5, 2005
- 19. Juni: Ken Okiishi, Eliott, E.lliotT.: Children of the New Age, 2004
- 20. Juni: Keren Cytter, Four Seasons, 2009
- 21. Juni: Phil Collins, Soy mi madre, 2009
- 22. Juni: Anja Kirschner & David Panos, Polly II – Plan for a Revolution in Docklands, 2006
- 25. Juni: Claire Hooper, Eris, 2012
- 26. Juni: Ryan Trecartin, The Re’Search (Re’Search Wait’S), 2009-2010
Online Streaming Projekt mit Phil Collins, Pauline Curnier Jardin, Keren Cytter, Quynh Dong, Claire Hooper, Kalup Linzy, Shana Moulton, Ken Okiishi, Anja Kirschner & David Panos, Ryan Trecartin
Co-kuratiert mit Fanny Gonella
Präsentiert von The John Institute, LUX(London) und Image Movement (Berlin).